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Gülle als Weichenheizung

Parlamentarisches S-Bahn-Gestöber

  • Bernd Kammer
  • Lesedauer: 2 Min.

Das winterliche S-Bahn-Chaos wehte gestern auch heftig ins Abgeordnetenhaus hinein. Die CDU-Fraktion wollte vom Senat in einer Aktuellen Stunde wissen, warum er sich keine Kontrollen und keinen Einfluss bei der S-Bahn gesichert habe und sich wieder auf unhaltbare Zusicherungen verlasse.

Das gescholtene Unternehmen selbst war gestern relativ stabil gestartet und konnte mit 340 Viertelzügen fünf mehr als am Vortag zum Einsatz bringen, weitere sollten im Laufe des Tages folgen. Trotz Schneegestöbers wurde bis zum frühen Nachmittag nur eine Weichenstörung gemeldet, was aber nicht zur Beruhigung der Parlamentsdebatte beitrug.

In der offenbarten einige Abgeordnete erstaunliches Fachwissen. So zitierte SPD-Verkehrsexperte Christian Gaebler eine Broschüre aus DDR-Zeiten, wonach die S-Bahn auch bei 40 Grad Hitze und 35 Grad Kälte fahre – und zwar alle 90 Sekunden. Sein FDP-Kollege Klaus-Peter von Lüdeke hatte sogar herausgefunden, wie die DDR-Reichsbahn das Einfrieren der Weichen verhinderte: »Sie kippte Gülle drauf!« Als er allerdings das Einsparen von Schmiermitteln für die aktuellen Weichenprobleme der S-Bahn verantwortlich machte, musste er von der Verkehrssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) korrigiert werden: »Weichen werden im Sommer geschmiert, im Winter werden sie geheizt.«

Ansonsten fiel auch von Lüdeke auf, dass nun schon den dritten Winter zum Thema S-Bahn immer die gleichen Reden gehalten werden. Was auch auf ihn zutraf, denn er forderte den Senat erneut auf, »wie ein Unternehmer« zu handeln, den Vertrag mit der S-Bahn zu kündigen, die Zahlungen einzustellen und von der Bahn Schadenersatz zu verlangen. Das bringe mehr als alles »Kapitalismusgequatsche«. Jutta Matuschek von der Linksfraktion hatte zuvor beim Bahnkonzern ein Überwiegen des »Renditeinteresses gegenüber den Interessen des öffentlichen Nahverkehrs« ausgemacht und dies als »blanken Kapitalismus« gegeißelt.

Wie die FDP verlangen auch die Grünen die Kündigung des Vertrages mit der S-Bahn, die dann aber mit der Verkehrsleistung beauftragt werden soll. Die Verkehrssenatorin wies das als »wirkungslos« zurück, damit würde sich nichts ändern. Der Senat nutze »die Möglichkeiten, die wir haben«. Damit meinte sie die 90 Millionen Euro, um die der Senat mittlerweile seine Zuschüsse an die S-Bahn gekürzt habe. Außerdem habe die Bahn einen Qualitätssicherungsplan vorgelegt, wie der S-Bahn-Verkehr auch unter Winterbedingungen pünktlich gewährleistet werden kann. »Das hat nicht funktioniert.« Die Senatorin will die Bahn an ihre Gemeinwohlverpflichtung erinnern und nicht dulden, dass der Konzern seine Töchter, und damit die S-Bahn, finanziell abschöpft.

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