Weitlingkiez besser als sein Ruf
Mit dem Lokalen Aktionsplan gelang es in Lichtenberg Rechtsextremisten zurückzudrängen
»Für mich ist diese Rundfahrt eine ganz besondere, weil sie diesmal nicht an wunderschöne Plätze oder bemerkenswerte Orte in Lichtenberg führt, sondern zu den Menschen, mit denen wir gemeinsam etwas geschafft haben, was sich sehen lassen kann«, erklärt Christina Emmrich zu Beginn der 6. Medientour am verschneiten Donnerstagnachmittag. Eingeladen hatte sie, um den Umbruch im Weitlingkiez zu zeigen. Als sie im Dezember 2002 Bezirksbürgermeisterin – damals noch für die PDS – war eines der ersten Probleme, mit denen sie sich auseinandersetzen musste, der Rechtsextremismus in Lichtenberg. Schon damals war man sich im Rathaus einig: Wir wollen uns unseren Kiez nicht von Rechten kaputtmachen lassen.
Seit Beginn der 90er Jahre galt insbesondere die Weitlingstraße als Zentrum des organisierten Rechtsextremismus. Hier hatten die Nazis ihre sozialen Treffpunkte in ihren Kneipen. Viele von ihnen wohnten auch hier. Bedrohungen, Anfeindungen, Übergriffe, Aufmärsche von Neonazis bis hin zur No-Go-Area – das war die Weitlingstraße. Nicht nur den deutschen, vietnamesischen und türkischen Händlern passte dieses Image ihrer Straße überhaupt nicht. Auch die Anwohner wurden stigmatisiert.
In den letzten vier Jahren konnten mit dem lokalen Aktionsplan alle bisherigen Aktivitäten von Politik, Verwaltung und Bürgerengagement koordiniert werden. Dabei haben sich Anwohner, Gewerbetreibende, Polizisten, Schüler, Kulturvereine, Jugendfreizeitstätten, Streetworker und Initiativen zu einer breiten Allianz gegen Rechts zusammengeschlossen. Durch den Aktionsplan Lichtenberg-Mitte, der seit 2007 über das Bundesprogramm »Vielfalt Tut Gut« gefördert wird, konnten 124 Projekte verwirklicht werden, an denen 20 Träger beteiligt waren. Sie richteten sich in der Mehrheit an Kinder, Jugendliche und junge Menschen bis zu 27 Jahren und erreichten insgesamt mehr als 14 000 Teilnehmer. Netzwerke entstanden, die auch über den Aktionszeitplan hinaus bestehen werden. War es doch ein Anliegen, Konzepte vor Ort zu unterstützen, die auf eine gemeinwesenorientierte, nachhaltige Auseinandersetzung mit den Themen Rechtsextremismus zielen.
Die Bustour führte zuerst zur Lichtenberger Brücke. Dort am Bahnhof haben Jugendliche ein riesiges farbiges Wandbild gesprüht. Seit drei Monaten ist es nicht zu übersehen. Immer wieder wurden an dieser Stelle vorherige Bilder mit rechten Schmierereien übermalt, zuletzt im April. Das ist nun kaum noch möglich oder wird sehr schnell beseitigt. »Da verlieren die Rechten schon mal die Lust«, meint Andreas Wächter von der Koordinierungsstelle des Aktionsplanes.
Zweiter Stopp im Interkulturellen Bildungszentrum in der Münsterlandstraße, der Anlaufstelle von Zuwanderern. Hier gibt es nicht nur Sprachkurse, hier treffen sich Nachbarn, feiern zusammen und bauen dabei Vorurteile ab. Auch vom Stammtisch der Gewerbetreibenden aus dem Weitlingkiez ist zu erfahren. Sie haben u.a. eine Kundgebung gegen Nazis sowie eine Fahrt in die Gedenkstätte Auschwitz organisiert. Die Polizei vom Abschnitt 64 ist fest im Aktionsplan vernetzt und trägt viel zur Aufklärung und dem Schutz der Bürgeraktionen bei. »Man darf uns ruhig sehen«, meint der Präventionsbeauftragte Jens Richter. Es ist nicht nur sein Eindruck, dass sich die Situation verbessert hat. »Der Weitlingkiez ist besser als sein Ruf.«
Dennoch, so Sabine Kritter von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR), gibt es die Rechten noch. Sie plakatieren, stören Veranstaltungen. »Aber sie haben deutliche Rückschläge erlitten.« Was man weiterhin tun kann und wie man sich in bestimmten Situationen verhält, erklärt ein Taschenratgeber, der im Bezirksamt erhältlich ist.
www.koordinierungsstelle-lichtenberg.de/
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