Ein verschwörerisches Grinsen
Greifswald wartet auf den Castor – und distanziert sich von rechten Kernkraftgegnern
Kalt ist es und düster an diesem Dienstagmorgen. Doch im Castor-Protestcamp bei Guest, fünf Kilometer außerhalb Greifswalds an der B 109 Richtung Anklam, hat man schon ein ernsthaftes Problem. Ein Stromkabel soll auf das Gelände, doch müsste es dazu einen Feldweg überqueren. Der ist zwar nur zwei Meter breit, eine gefrorene Matschpiste. Nichtsdestotrotz, stöhnt der junge Mann mit Wollmütze am Eingang zum Camp, sei der »Westenhäger Landweg« wohl eine öffentliche Straße. Deshalb darf man das Kabel nicht einfach drüberlegen. Die Camp-Logistiker Grübeln: Eingraben? In diesen pickelharten Boden?
Dass es die Staatsgewalt sehr genau nimmt mit diesem kleinen Zeltlager, hatte sich schon am Vortag gezeigt. Da bauten die Camp-Leute gerade fünf »Kompost-Toiletten« auf – als der Hubschrauber, der immer wieder am Himmel steht über Greifswald und Umgebung, herbeieilte. »Höchstens fünf Meter« über dem Boden habe der Helikopter geschwebt, man habe der Besatzung ins Gesicht sehen können. »Erst als sie die Klobrillen gesehen haben, sind sie wieder hochgeflogen.«
Auch auf dem Boden hält die Polizei das Lager unter strikter Kontrolle. Wer sich auf der Straße nähert, wird unweigerlich einer Personen- und Fahrzeugkontrolle unterworfen. Die Polizisten haben sich einen Heizpilz aufgestellt und nutzen nachts einen Scheinwerfer – ein Bild wie an einem Grenzübergang. Zudem ist wenige hundert Meter hinter dem Lager schon der nächste Posten der Ordnungshüter sichtbar. Hier verläuft die Eisenbahnlinie von Greifswald nach Lubmin, die der Zug auf jeden Fall befahren muss. Und für diesen Teil der Strecke ist auch schon eine Sitzblockade angekündigt, deren genauer Schauplatz am Mittwochabend verkündet werden soll. Für die Polizei scheint das ein Heimspiel zu sein: die Schiene verläuft in weiten Teilen parallel zur Landstraße – an der sich nahe der Energiewerke auch ein Stützpunkt der Bundespolizei befindet.
Die Gefangenensammelstelle wurde aber im zehn Kilometer entfernten Wolgast aufgestellt. Dort werden »mobile Arrestzellen« vorgehalten. Bei der Pressestelle der Castorgegner macht man sich bereits Sorgen: Kann die Polizei, sollte es zu Massenfestnahmen kommen, alle Verhafteten schnell dorthin bringen? »Es darf auf keinen Fall dazu kommen, dass bei diesem Wetter Leute länger draußen festgehalten werden, wie es im Wendland passiert ist«, sagt ein Sprecher. Das habe man bei Kooperationsgesprächen mit der Polizei deutlich gemacht. Betont habe man bei der Gelegenheit allerdings auch, »dass die Polizisten nicht unsere Gegner sind. Wir planen eine friedliche, gewaltfreie Sitzblockade.« Das sei »alles im geschützten Rahmen des zivilen Ungehorsams«.
Der Transport ist ein Thema in Greifswald. Selbst in der weihnachtsgeschäftigen Fußgängerzone ist es zu spüren: Hier ein X-Aufkleber, dort ein Anstecker mit der lachenden Sonne und manchmal ein verschwörerisches Grinsen. Doch wie viele es tatsächlich sein werden, die in den nächsten Tagen demonstrieren oder sich gar auf Schienen setzen könnten, sei nicht abzusehen, sagt der Sprecher. Im Camp warten höchstens einige Dutzend Plätze in mit Stroh ausgelegten Zelten, von der Bettenbörse, die mehrere hundert Schlafplätze vermitteln kann, gibt es keine Statistiken. Nach den Demonstrationen am Abend, heißt es im Protestbüro, werde man mehr wissen.
Auf diese Demonstrationen konzentriert sich derzeit auch die Polizei. Neben einem Licherketten-Treff steht für den Dienstabend nämlich ein etwas heiklerer Aufzug an – eine landestypische Anti-Anti-Kundgebung: Linke Gruppen aus Rostock und Greifswald machen mobil gegen mögliche Castor-Gegner von rechts. Auf der einschlägigen Internetseite »MuP-Info« war angekündigt worden, es würden sich auch »nationale Kräfte« an den Aktionen gegen den Atomtransport beteiligen. Davon distanzieren sich sämtliche hinter den Protesten stehende Gruppen auf das Schärfste.
Am wenigsten zu spüren ist von all der Aufregung bisher in Lubmin selbst. Kein Aushang am zentralen Seebadzentrum, keine Plakate, keine X-förmigen Holzkreuze, keine Aufkleber auf Autos. Es scheint, als wolle es der Ort vermeiden, Anlass für Berichterstattung zu geben. Nur ganz unten an der Seebrücke, wo ein eisiger Wind pfeift und auf der rechten Seite schon die Kräne über den Energiewerken über die Wipfel ragen, pappt ein einsamer Sticker auf einer Laterne. Etwas von Gorleben steht darauf. Und von November.
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