Viele Welten, aber kein Gott

Stephen Hawking über die fundamentalen Fragen der Physik

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Legende nach traf der französische Gelehrte Pierre-Simon de Laplace einst mit Napoleon zusammen und stellte diesem seine Himmelsmechanik vor. Der Kaiser der Franzosen hörte aufmerksam zu und fragte Laplace anschließend, warum er Gott mit keinem Wort erwähnt habe. Darauf antwortete Laplace selbstbewusst: »Sire, diese Hypothese benötige ich nicht.«

Damit hätte Laplace sicherlich etwas hochgestapelt. Denn ähnlich wie zuvor Isaac Newton war auch er gezwungen, die Naturgesetze und den Anfangszustand des Universums als gleichsam erschaffen vorauszusetzen. Zwei Fragen blieben seither offen: Warum existiert überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts? Und warum sind die Naturgesetze so, wie sie sind?

Für Fragen dieser Art fühlen sich traditionell die Philosophen zuständig. Nur: »Die Philosophie ist tot. Sie hat mit den Entwicklungen in der Naturwissenschaft nicht Schritt halten können.« Zu diesem Resümee kommt kein Geringerer als der britische Physiker Stephen Hawking, der in seinem mit Leonard Mlodinow verfassten Buch »Der große Entwurf« jetzt den Versuch unternimmt, den Ursprung des Universums und die Herkunft der Naturgesetze ohne Rückgriff auf Gott zu erklären.

Dass dies nicht jedermann behagt, liegt auf der Hand und ist womöglich ein Grund dafür, warum so viele Kritiker das Buch ablehnen oder Hawking vorwerfen, er stelle nur seine Sicht der Dinge dar und lasse alternative Ansätze außer Acht. Letzteres trifft sicherlich zu und ist dennoch kein Grund, auf die Lektüre zu verzichten. Denn Hawking versteht es wie kaum ein Zweiter, komplizierte Zusammenhänge der Physik anschaulich und einprägsam darzustellen. Wer also wissen möchte, wie sich das physikalische Weltbild seit der Antike entwickelt hat, was das Besondere an der Quantenmechanik ist und wie es um das Bemühen steht, diese mit der allgemeinen Relativitätstheorie zu vereinigen, der wird Hawkings Buch mit Gewinn lesen. Zumal der Autor auch die großen Zusammenhänge nicht aus dem Blick verliert und eine kreative Fantasie entfaltet, von der mancher Philosoph nur träumen mag.

Wie andere Physiker hat auch Hawking inzwischen die Hoffnung aufgegeben, dass es irgendwann gelingen werde, »eine einzige Theorie der Natur« aufzustellen. Was er gleichwohl für möglich hält, ist die Konstruktion einer »Theorie von Allem«. Und er hat dafür auch einen heißen Kandidaten: die M-Theorie, die, so heißt es in dem Buch, »aus einer ganzen Familie verschiedener Theorien besteht, deren jede nur für einen Teilbereich physikalischer Situationen eine gute Beschreibung liefert«. Zum Kernbestand der M-Theorie gehören fünf sogenannte Stringmodelle, denen zufolge materielle Teilchen keine Punkte sind, sondern winzige Fäden. Deren Schwingungen wiederum legen die Eigenschaften der Teilchen fest. Die M-Theorie verlangt allerdings elf Raumzeit-Dimensionen, von denen wir bekanntlich nur vier wahrnehmen. Die anderen sind auf kleinstem Raum so eng aufgewickelt, dass sie für uns de facto nicht existieren. Dennoch bestimmt die Art ihrer Aufwicklung die Werte der physikalischen Konstanten und die Wechselwirkungen zwischen den Elementarteilchen. Physiker schätzen, dass die M-Theorie rund 10 hoch 500 Möglichkeiten zulässt, die sieben verborgenen Dimensionen aufzuwickeln. Daraus zieht Hawking den Schluss, dass auch die Zahl der Universen bei 10 hoch 500 liegt, und dass jedes Universum über spezielle Gesetze verfügt: »In einigen Universen haben Elektronen das Gewicht von Golfbällen, und die Kraft der Gravitation übertrifft die des Magnetismus.«

Es dürfte demnach nur selten vorkommen, dass in einem Universum Leben entsteht. Denn dafür müssen die physikalischen Konstanten sehr fein aufeinander abgestimmt sein. Wären zum Beispiel die Protonen in unserer Welt nur um 0,2 Prozent schwerer, gäbe es keine stabilen Atome und mithin auch kein Leben. Nach der Multiversum-Theorie ist für diese Feinabstimmung jedoch kein Schöpfer nötig, sie ergibt sich schlicht aus der gigantischen Zahl der möglichen Universen.

An die darin wirkenden Naturgesetze stellt Hawking jedoch eine Bedingung: Sie müssen so beschaffen sein, dass die Energie eines im leeren Raum befindlichen isolierten Körpers positiv ist, so dass es Arbeit kostet, ihn zu generieren. Hätte ein isolierter Körper hingegen eine negative Energie, könnte er im Zustand der Bewegung gleichsam aus dem Nichts entspringen. Während Hawking diese Möglichkeit verwirft, will er nicht ausschließen, dass gleich ein ganzes Universum aus dem Nichts entstehen kann. Dazu müsste im globalen Vakuum jedoch eine Kraft wirken, deren Energie negativ und letztlich so groß wäre, dass sie die positive Energie der Materie aufwiegen würde. Eine solche Kraft gibt es tatsächlich, meint Hawking: die Gravitation. Weil das Nichts also dank der Gravitation die Fähigkeit besitzt, ganze Universen spontan zu erzeugen, tritt es für Hawking an die Stelle Gottes. Denn wie »Gott« besteht das Nichts aus sich selbst heraus und sorgt dafür, das überhaupt etwas existiert.

Noch weiß niemand, ob die M-Theorie eine zutreffende Beschreibung des Universums ist oder nur eine »abgedrehte« physikalische Theorie neben anderen. Sollte es jedoch gelingen, die M-Theorie durch Beobachtungen zu bestätigen, dann, so lautet der letzte Satz in Hawkings Buch, »haben wir den Großen Entwurf gefunden«.

Stephen Hawking/Leonard Mlodinow: Der große Entwurf. Eine neue Erklärung des Universums. Rowohlt, 191 S., 24,95 €.

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