Bestandsschutz - wer sich wann darauf berufen kann

Oft taucht bei zurückliegend errichteten Bauwerken die Frage auf, ob denn die Baubehörde tatsächlich eine Beseitigung verlangen kann, wenn baurechtliche Vorgaben nicht eingehalten wurden, entgegen oder gar ohne eine Baugenehmigung gebaut wurde. Dann wird schnell das Wort Bestandsschutz in den Mund genommen, wenn das Bauwerk schon vor Jahren errichtet wurde und seitdem unbeanstandet genutzt wird.

So einfach ist das jedoch nicht, denn wer ohne oder unter Abweichung von der Baugenehmigung baut oder bei genehmigungsfreien Vorhaben die baurechtlichen Bestimmungen nicht beachtet, handelt gemessen am geltenden Baurecht illegal. Was heißt denn Bestandsschutz? Seinen Ursprung hat der Bestandsschutz im Eigentumsschutz des Art. 14 Grundgesetz, der dem Eigentümer das Recht gewährleistet, mit seinem Eigentum nach Belieben zu verfahren, der also eine grundsätzliche Baufreiheit gewährt. Bauen ist somit grundsätzlich ein zulässiges »Verfahren« mit dem eigenen Grundstück, freilich im vorgegebenen Gesetzesrahmen, der die Eigentumsrechte nach Art. 14 Grundgesetz ausgestaltet. Das Bundesverfassungsgericht hat vor nicht allzu langer Zeit wieder den Grundsatz festgestellt (BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2000, Az. 1 BvR 151/99): »Ein durch Art. 14 Abs. 1 GG bewirkter Bestandsschutz liegt nur dann vor, wenn der Bestand zu irgendeinem Zeitpunkt genehmigt wurde oder jedenfalls genehmigungsfähig gewesen ist.« Das bedeutet, das Bestandsschutz zum einen auf das Vorliegen einer Baugenehmigung, also eines formellen Bescheides, der zu irgendeinem Zeitpunkt ein Bauvorhaben genehmigt hat, zurückzuführen sein kann. Zum anderen kann er auch auf die Tatsache zurückgeführt werden, dass der Bau zwar ohne Genehmigung verwirklicht wurde, aber die Voraussetzungen vorlagen, dass er bei Beantragung hätte genehmigt werden müssen, also ein Genehmigungsanspruch bestand (so genannte materielle Baurechtmäßigkeit). Bestandsschutz kann somit nur genießen, was entweder formell genehmigt oder irgendwann mindestens genehmigungsfähig war. Verkannt wird häufig, dass nicht allein jahrelanger Bestand und entsprechende Nutzung ohne erforderliche Genehmigung ein Bauwerk legitimieren. Der Bestandsschutz hat zwei Seiten, eine passive, nämlich die des Substanz- und Nutzungsschutzes, bezogen auf den vorhandenen Bestand im Ist-Zustand, und eine aktive, nämlich die, inwieweit an dem geschützten und zu duldenden Bestand baurechtlich relevante Veränderungen als zulässig zu genehmigen bzw. zu dulden sind. Es lassen sich grundsätzlich drei Fallgruppen unterteilen, deren gemeinsames Merkmal ist, dass nur rechtmäßig Geschaffenes (formell oder materiell) geschützt ist: 1. Ein Bau wurde zu dem genutzten Zweck genehmigt. Dann ist die Bauaufsichtsbehörde auch an diesen zulässig vorhandenen Baubestand gebunden. 2. Ein Bau hat, ohne dass eine Baugenehmigung eingeholt wurde, zum Zeitpunkt der Errichtung den materiellen Baurechtsvorschriften insbesondere nach Baugesetzbuch und der jeweiligen Landesbauordnung entsprochen. Dies mag zwar eine Ordnungswidrigkeit nach der Landesbauordnung darstellen, dass ohne Genehmigung gebaut wurde, aber in der Abwägung ist der Bau schutzwürdig, weil die Baugenehmigung entsprechend den gesetzlichen Vorschriften hätte erteilt werden müssen. Voraussetzung ist allerdings, dass bereits ein schutzwürdiger, funktionsgerecht nutzbarer Bestand vorhanden ist, also der Bau im wesentlichen fertig gestellt ist (Mindesterfordernis bei Gebäuden: fertig gestellter Rohbau). 3. Ein Bau war zwar bei Errichtung weder genehmigt, noch hat er den zu diesem Zeitpunkt geltenden baurechtlichen Vorschriften entsprochen, dies jedoch zu einem späteren Zeitpunkt. Allerdings muss er über einen längeren Zeitraum den baurechtlichen Vorschriften entsprochen haben und genehmigungsfähig gewesen sein (es ist von einem Mindestzeitraum von drei Monaten auszugehen). Der Bestandsschutz hat seine Grenzen dort, wo ein schutzwürdiger wesentlicher Bestand nicht existiert, wo trotz Bestandsschutzes bei Vorliegen konkreter Gefahren für die Sicherheit und Gesundheit durch das in der Entwicklung befindliche Bauordnungsrecht neue Anforderungen geschaffen wurden und einzuhalten sind sowie insbesondere bei Beendigung des Bestandsschutzes. Der Bestandsschutz endet dort, wo eine schützenswerte Substanz oder deren schützenswerte Nutzung ganz oder teilweise nicht mehr vorhanden sind. Das ist nicht nur bei einem Verfall des Gebäudes, sondern auch bei der endgültigen oder dauerhaften Nutzungsaufgabe und auch bei Aufnahme einer andersartigen Nutzung der Fall. Bestandsschutz besteht immer nur mit Bezug auf das konkrete Gebäude und die konkrete Nutzung. Der passive Bestandsschutz verpflichtet die Bauaufsichtsbehörde, ein geschütztes Bauvorhaben oder eine geschützte bauliche Anlage in ihrem Ist-Zustand zu respektieren und hiergegen nicht vorzugehen. Mit diesem Argument können Nutzungsuntersagungen und Beseitigungsanordnungen abgewehrt werden. Im Rahmen des aktiven Bestandsschutzes wird ein Erhaltungsanspruch sowie ein eng begrenzter Ausbau- und Erweiterungsanspruch gewährt. Bestandserhaltende Maßnahmen sind möglich und zu dulden wie der Bestand selbst; das betrifft also Instandsetzungs-, Instandhaltungs-, Reparatur- oder Unterhaltungsarbeiten, wobei grundsätzlich nicht wesentliche Veränderungen von Bestand und/oder Nutzung in Betracht kommen. Bestandserweiternde Maßnahmen sind nur in ganz engem Rahmen möglich. Einer Bauaufsichtsbehörde, die die Nutzung untersagt oder den Abriss verfügt, lässt sich also durchaus mit dem Argument des Bestandsschutzes begegnen. Hierbei sollte jedoch beachtet werden, dass zwar die Bauaufsichtsbehörde eigene Aufklärungspflichten hat, jedoch die höchstrichterliche Rechtsprechung dem sich auf den Bestandsschutz berufenden Eigentümer auch die Beweislast für den Bestandsschutz auferlegt. Für Bauwerke, die zu DDR-Zeiten auf dem Gebiet der DDR ohne Baugenehmigung errichtet wurden, aber dem damaligen Baurecht entsprachen, soll der dargestellte Bestandsschutz nicht gelten, da es im Recht der DDR an einer vergleichbaren grundrechtlichen Eigentumsposition wie aus Art. 14 Grundgesetz gefehlt hat. Hier wird sich der Bauherr in aller Regel auf Vertrauensschutz berufen können, der sich aus der zu DDR-Zeiten geltenden Verordnung über Bevölkerungsbauwerke (GBl. der DDR, Teil I, 1984, S. 433) ableitet. Hiernach durfte fünf Jahre nach Errichtung eines illegalen Bauwerks eine Beseitigungsanordnung nicht mehr ausgesprochen werden. Im Falle, dass ein Schwarzbau dem Baurecht der DDR seinerzeit entsprach, ist der Vertrauensschutz bei der Ermessensausübung durch die Bauaufsichtsbehörde zu berücksichtigen und wird in aller Regel Vorrang genießen, nämlich dann, wenn auch nach DDR-Recht eine Nutzungsuntersagung oder Beseitigungsanordnung nicht mehr hätte verfügt werden können. FRANK AUERBACH, Recht...

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