Bilder eines unbekannten Krieges
Fotografien aus Karelien und Leningrad von Chandogin im Deutsch-Russischen Museum
Aufnahmen eines weitgehend unbekannten Kriegsschauplatzes werden dem Besucher des Deutsch-Russischen Museums derzeit in der Sonderausstellung »Chandogin – Kriegsfotos aus Karelien und Leningrad 1939-1944« präsentiert. Während des sowjetisch-finnischen Winterkrieges 1939/40 gehörte Nikolaj Iwanowitsch Chandogin (1909-1989) zu den wenigen Fotografen, die in Karelien als Korrespondenten arbeiteten. In diesem Krieg absolvierte er seine ersten Fronteinsätze als Fotoreporter der Leningrader Militärzeitung »Auf Heimatwacht«. Bilder von Schlachten sind jedoch nicht in der Ausstellung zu finden. Der harte Winter und die mangelnde technische Ausrüstung – er bekam eine nachgebaute Leica ohne Teleobjektiv – ließen ihm so gut wie keine Aufnahmen von Kämpfen machen.
Fotografien von Schützengräben, Gruppen von Panzersoldaten im Schnee in der Karelischen Landenge oder von ihrer glücklichen Heimkehr nach Leningrad im März 1940 geben Auskunft von diesem Krieg. Ebenso die Porträts von ausgezeichneten Rotarmisten. Er fertigte 100 an, die auf der ersten Zeitungsseite veröffentlicht wurden. In der Ausstellung im Wintergarten des Museums hängen 12 seiner Helden-Bilder, die »nicht nur die strahlend inszenierte Fassade des Soldaten und Offiziers zeigen«. Diese Aufnahmen entstanden hinter der Frontlinie und geben einen kleinen Einblick in die Persönlichkeit des Abgebildeten.
»Mit der Ausstellung wollen wir zeigen, welchen Auftrag der Fotograf hatte und unter welchen Bedingungen die Bilder entstanden. Wir wollten dem Fotografen Chandogin als Kriegsberichterstatter gerecht werden«, meint Kuratorin Margot Blank. »Aus einem Fundus von 2300 Negativen, die unser Museum vor einigen Jahren übernehmen konnte, wählten wir 94 Aufnahmen aus, die für sein Werk und seinen fotografischen Ausdruck repräsentativ sind«
Mit dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 wurde Chandogin von der Zeitung als Kriegsfotograf der Leningrader Front zugeteilt. Seine Aufnahmen vom Kriegsalltag werden ergänzt durch Fotografien, die während der Leningrader Blockade entstanden. Sie zeigen, was in dieser Zeit die große Metropole prägte: Hunger, Tod, Zerstörung, Obdachlosigkeit, Verwundete, aber auch die Anstrengungen der Leningrader, trotz dieser unmenschlichen Bedingungen zu überleben.
Die Ausstellung kommt mit wenig Text aus. Dafür gibt es einen umfangreichen Begleitkatalog, der sich vor allem mit dem hierzulande in der Öffentlichkeit wenig bekanntem Winterkrieg aus finnischer und russischer Sicht befasst. »Wir waren überrascht, mit welcher Offenheit das Thema an der Universität von Petrosawodsk heute behandelt wird«, so Museumsleiter Jörg Morré. Seppo Hentilä, Historiker an der Universität Helsinki, schreibt ausführlich über Ziele, Pläne, Kampfhandlungen und Ergebnisse des finnisch-sowjetischen Krieges.
Chandogin verstand sich, obwohl im weißrussischen Dorf Wolnizy geboren, immer als Leningrader. Hier verbrachte er den größten Teil seines Lebens. Auch von den heutigen Petersburgern wird er als der Fotograf der Blockade geschätzt. Erinnern doch insbesondere seine Bilder an die leidvolle Geschichte ihrer großen Stadt. Die Werke haben ihren Platz in der ständigen Ausstellung des Museums der Geschichte St. Petersburgs. Außerdem sind seine Arbeiten in der Ausstellung zum Tag des Sieges zu sehen sowie in Büchern, Anthologien und Fotobänden über den Großen Vaterländischen Krieg.
Zur Finissage am 6. Februar, 18 Uhr, wird Julia Demidenko vom Staatlichen Museum der Geschichte St. Petersburgs über »die Blockade Leningrads in der sowjetischen / russischen Gedächtniskultur« sprechen.
Bis 6. Februar, Deutsch-Russisches Museum, Zwieseler Str. 4, Karlshorst, Tel.: 50 15 08 10, Di.-So. 10-18 Uhr, Eintritt frei, Katalog: Broschur im Museum 15 EUR (Hardcover im Buchhandel 24.95 EUR), www.museum-karlshorst.de
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.