Zurück in den DAX
Wirtschaft denkt über Standortentwicklung nach
Die »Re-Industrialisierung braucht Standorte«, meint die Berliner Industrie- und Handelskammer (IHK). Weil das Problem drängend sei, wollen sie jetzt eine Diskussion darüber für das Jahr 2011 anregen, meinten Präsident Eric Schweitzer und Hauptgeschäftsführer Jan Eder rechtzeitig zum neuen Jahr gegenüber Journalisten. Stünden auch die Wahlen zum Abgeordnetenhaus bevor, dürfe kostbare Zeit doch nicht einfach ohne grundsätzliche Entscheidungen verstreichen. Kompetenzen und Möglichkeiten seien stärker herauszuarbeiten, auch um den Wirtschaftsstandort Berlin über seine Grenzen hinaus attraktiver zu machen.
Knapp zwei Dutzend Standorte werden in dem IHK-Positionspapier »Wirtschaft und Wissen: Berliner Industrie- und Innovationsstandorte« aufgelistet. Dazu gehört der Clean Tech Business Park Marzahn. Der konzentriert sich auf Solarenergie und Clean Technologies. Empfohlen wird eine Arbeitsteilung mit dem Wissenschafts- und Technologiepark Adlershof. Dort wären Raum und Möglichkeiten für Grundlagenforschung bis hin zum Bau von Prototypen.
Für eine Serienfertigung hingegen böte der Marzahner Business Park den Unternehmen hinreichend große Industrieflächen. Mit der Fertigstellung eines 90 Hektar großen Gewerbeparks Ende 2011 soll hier das größte freie Industriegebiet Berlins zur Verfügung stehen. Notwendig seien dann schnelle und kurze Verbindungen zur Autobahn, nach Adlershof und zum Flughafen BBI.
An der Weddinger Fennstraße hat die Bayer Health Care AG als einer der größten Arbeitgeber der Stadt ihren Sitz. 5300 Beschäftigte zählt der Konzern am einstigen Stammsitz des von ihm geschluckten Berliner Traditionsunternehmens Schering AG. Entstehen soll hier und im Entwicklungsgebiet Heidestraße auf dem ehemaligen Bahngelände zwischen Hauptbahnhof und Nordhafen ein hoch moderner »PharmaCampus«. Der wäre ohne die Nachbarschaft zu erstklassigen Einrichtungen wie Humboldt Universität, Charité, Vivantes und Herzzentrum ebenso nicht denkbar wie ohne Max-Planck-Institut oder Naturkundemuseum und andere. Der Grundstein für eine »Medical City«, also eine Medizinstadt inmitten Berlins ist damit wohl längst gelegt.
Ebenfalls als »Innovationsstandort der Zukunft« wird das Gelände des Flughafens Tegel eingeordnet. Er soll spätestens ein halbes Jahr nach der für Juni 2012 geplanten BBI-Fertigstellung geschlossen werden und auf 200 Hektar zu einem Forschungs- und Industriepark für Zukunftstechnologien entwickelt werden. Die IHK-Experten fordern dazu eine zügige Änderung des Flächennutzungsplanes, finanzielle Anreize für die Ansiedlung von Forschungseinrichtungen – beispielsweise der Technischen Universität – und verbesserte Verkehrsanbindungen. Der Reinickendorfer Standort liegt zwar direkt an der A 111, hat aber keinen S- und U-Bahn-Anschluss.
Die Interessenvertreter von Wirtschaft und Industrie sind fest überzeugt, dass Innovation besonders der räumlichen Nähe und Zusammenarbeit von Industrie, Wissenschaft und Forschung bedarf. Das sei der Standortvorteil dieser Metropole, der nicht nur den lokalen Partnern Vorteile, sondern der Stadt Wachstum und Beschäftigung bringe. Würde die Berliner Wirtschaft in den kommenden Jahren um ein Prozent stärker als im Bund wachsen, könnte in einer Legislaturperiode die Berliner Arbeitslosenquote auf Bundesniveau sinken, rechnete Eric Schweitzer vor. Bei dem derzeitigen Plus von 0,6 Prozent Wachstum würde das 2018 der Fall sein.
Die Wiederbelebung der Berliner Industrie vollziehe sich in einer »einmaligen Wissenschaftslandschaft«, wird in dem IHK-Grundsatzpapier hervorgehoben. Ihre Chance liege im direkten Zugang zu wissenschaftlichen Erkenntnissen und hoch qualifiziertem Personal. So sind allein an den Berliner Hochschulen 140 000 Studierende eingeschrieben, viele aus anderen Regionen Deutschlands und auch aus aller Welt. Der Anteil der Ausgaben für Forschung und Entwicklung am Berliner Bruttoinlandsprodukt liegt für die Hochschulen bei 1,4 Prozent und für die außeruniversitären Forschungseinrichtungen bei 1,1 Prozent. Damit rangiert Berlin auf Rang 1 in Deutschland.
Geld und Personal sollen nach dem Willen der IHK künftig stärker auf Hochtechnologie- und Innovationsstandorte der Zukunft konzentriert werden. Für wissenschaftliche Institute empfiehlt die IHK Anreize, sich an Standorten gezielt anzusiedeln. Dazu wünscht sie sich eine intensivere Zusammenarbeit der Senatsverwaltungen und auch die Entwicklung »weicher« Standortfaktoren wie Erholungsflächen, Gastronomie und Betreuung.
Wenn alles klappt, ist IHK-Präsident Schweitzer angesichts der Berliner Möglichkeiten optimistisch, könnte es in zehn Jahren – wie einst Schering – auch wieder ein Berliner Unternehmen unter die 30 größten deutschen im Aktienindex DAX schaffen.
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