»Es gibt immer ein Restrisiko«
Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) über islamistische Anschläge, potenzielle Täter und untaugliche Reaktionen
ND: Herr Körting, ist es nach sieben Wochen Terroralarm in Deutschland nicht an der Zeit, die Alarmstufe etwas herunterzufahren?
Körting: Die Hinweise auf mögliche islamistische Anschläge bezogen sich nicht ausschließlich auf den Zeitraum Ende November. Sie waren viel konkreter als etwa vor einem Jahr. Den Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder gelang es bisher nicht, das bis ins Letzte abzuklären. Deshalb sind wir gut beraten, jetzt keine Entwarnung zu geben.
Auch Berlin sehen Sie also weiter als besonders gefährdet an.
Erfahrungen zeigen, dass Terroristen in erster Linie symbolhafte Orte aussuchen, also Metropolen. Große Städte sind mehr gefährdet als viele kleinere. Hinzu kommt, dass Berlin als Hauptstadt von herausragender Symbolträchtigkeit sein dürfte.
Welche Bedingungen müssten eintreten, damit sich die Lage entspannt?
Alle vorliegenden Indizien müssten dahin gehend verifiziert werden, dass sie falsch oder nicht mehr so plausibel sind, wie man das anfangs gedacht hat. Wir bekommen ja nicht einen Hinweis, Täter XY, dann und dann geboren, das und das Aussehen, bereitet da und dort einen Anschlag vor. Sondern es gibt einen Hinweis, dass in einer bestimmten terroristischen Organisation oder wo auch immer Gespräche über einen möglichen Anschlag in Europa und spezifisch auch in Deutschland stattfinden. Solche Hinweise sind manchmal mit irgendwelchen Namen oder Daten oder Begehungsweisen verbunden, aber nie so konkret, dass man unmittelbar daraus operative Maßnahmen gegen einzelne Menschen treffen kann. Und dementsprechend ist Terrorismusabwehr immer auch ein Nachgehen vieler denkbarer Spuren.
Meinen Sie tatsächlich, dass man mit einem Mehr an Polizisten und schwerer Bewaffnung potenzielle Täter davon abhalten kann, ihre Pläne zu verwirklichen?
In der Vergangenheit haben Terroristen vor allem besondere Symbole im Fokus gehabt – das World Trade Center, das Pentagon oder die Botschaft in Kenia. Nur solche Objekte vermag man eventuell zu schützen. Darum befindet sich derzeit Polizei verstärkt am Reichstag. Deshalb hat das Bundesinnenministerium darauf gedrungen, dass es in Flughäfen und bestimmten Bahnhöfen eine nicht zu übersehende Präsenz gibt. Terroristen sind allerdings verstärkt dazu übergegangen, sogenannte weiche Ziele ins Visier zu nehmen. Mit passiver Bewachung sind die nicht zu schützen. Man kann nicht vor jedes Einkaufszentrum, vor jeden Jahrmarkt, vor jedes Fest oder was auch immer eine Vielzahl von Polizisten stellen. Das ist in einer freien Welt nicht machbar.
Bleiben nur die Geheimdienste?
Ja. Es obliegt ihnen, so früh wie nur irgend denkbar an Informationen aus dem Umfeld potenzieller Täter zu gelangen, um rechtzeitig reagieren zu können. Das geschah seinerzeit im Falle des geplanten Anschlages der Sauerland-Gruppe. Es hat auch in Berlin funktioniert, als 2004 drei Leute ein Attentat auf den irakischen Premier Allawi vorbereitet hatten. Auf Anschläge so genannter Kofferbomber, etwa auf den öffentlichen Personennahverkehr in Madrid und London, gab es keine Hinweise. Und in Stockholm ist es nur deshalb nicht zu einem vollendeten Anschlag gekommen, weil die Täter technische Fehler gemacht haben. Es gibt in der freien Welt immer ein Restrisiko.
Als Quellen werden oft Überläufer genannt, auch reumütig zurückgekehrte Leute aus islamistischen Ausbildungslagern. Andererseits werden Anschläge äußerst konspirativ vorbereitet. Nur wenige dürften eingeweiht sein. Inwieweit darf man den Quellen überhaupt trauen?
Zur konkreten Situation werde ich mich nicht äußern. Generell aber ist bei Quellenmeldungen eine gewisse Skepsis angebracht. Insbesondere, wenn sich die Quelle in Haft befindet. Man weiß nicht, ob die sich irgendetwas auch mit falschen Informationen erkaufen will. Das Risiko geht man immer ein. Es hängt davon ab, ob Hinweise durch andere Hinweise erhärtet werden können.
Im Berliner Verfassungsschutzbericht ist zuletzt von 185 Bürgern mit Deutschland-Bezug die Rede, die in militant-islamistischen Lagern eine Ausbildung absolviert oder geplant hätten. Hat sich ein solcher Trend verschärft?
Nein. Tatsächlich registrieren wir die Bereitschaft von Personen, in den Dschihad zu ziehen, wie sie selbst es nennen. Sie beabsichtigen keine Aktionen in Deutschland, sondern wollen nach Tschetschenien, Dagestan, Afghanistan oder in die Grenzregion nach Pakistan. Solche gibt es auch in Berlin. Manche sind möglicherweise dort ums Leben gekommen und andere nach Berlin zurückgekehrt oder wollen zurückkehren. Manche muss man nach wie vor für Extremisten halten. Bei anderen kann man inzwischen davon ausgehen, dass sie desillusioniert sind. Unabhängig davon stehen sie allesamt im Fokus der Sicherheitsbehörden. Um zu verhindern, dass aus Schläfern Akteure werden.
Solche Leute sind einmal in einer bestimmen Situation radikalisiert worden. Wenn sie zurückkehren, selbst wenn sie desillusioniert sind, besteht das Risiko, dass sie unter bestimmten Voraussetzungen auch wieder bereit sein könnten, sich erneut radikalisieren zu lassen. Dabei ist »Schläfer« ein eher unzutreffender Begriff. Es geht nicht darum, dass hier Leute einsickern, die irgendwo fremdgesteuert darauf warten, zu einem Zeitpunkt X nach ein, zwei, drei Jahren eventuell irgendeinen Anschlag auszuführen. Der Begriff galt eher für die Zeit des Kalten Krieges.
Wo sehen Sie Ursachen für diese Art Terror – im Krieg in Afghanistan?
Für mich ist der Palästina-Konflikt Auslöser der Radikalisierung, gewissermaßen die Urwurzel des Bösen. Es ist verheerend, dass es auch mit Druck der Amerikaner nicht gelungen ist, Israel und die Palästinenser weiter am Verhandlungstisch zu halten. Und dass Israel offensichtlich meint, weiter Siedlungsgebiete der Palästinenser besetzen und dort Bauten errichten zu können.
Eine entschärfte Lage im Nahen Osten würde auch die Radikalisierung mindern. Das wäre für die jetzige Terrorsituation bedeutsamer als etwa der Afghanistan-Konflikt, der in absehbarer Zukunft wohl beendet sein wird. Jedenfalls die militärische Auseinandersetzung.
Was können Staat und Stadt tun, um den Bürger zu schützen?
Die erwähnten Maßnahmen ergreifen, die bisher ergriffen wurden. Darüber hinaus eine liberale, aber auch konsequente Ausländer- sowie Integrationspolitik betreiben, den Muslima und Muslimen deutlich machen, dass sie willkommen sind, zu uns gehören, Berlinerinnen und Berliner sind wie wir selbst. Bestimmte Gruppen von Menschen dürfen nicht ihrer Religion wegen ausgegrenzt werden. Insofern ist das Buch von Sarrazin und die Debatte, die darum geführt wurde, sicherlich eine Belastung.
Mit welcher Wirkung?
Zumindest in Berlin hat sie nicht durchgeschlagen. Es gibt zwar eine Verunsicherung unter den Muslimen über die Situation und die Debatte. Und es kam zu zwei Anschlägen auf Moscheen. Allerdings werde ich mich im Moment davor hüten, sie in eine ganz bestimmte Richtung zu interpretieren – es liegen bisher keine Ermittlungsergebnisse vor.
Kann der Bürger etwas tun?
Ja, er sollte mit seinen muslimischen Mitbürgern ganz normal umgehen. Und damit deutlich machen, dass wir, die wir hier leben, zusammen gehören. Der Terrorist tötet wahllos in seinem Wahn, unterscheidet nicht zwischen Türken, Arabern und deutschstämmigen Bürgern, nicht zwischen Frauen, Männern oder Kindern. Es sind alle betroffen.
Was kann das geplante deutsche FBI bewirken?
FBI ist ein Terminus der Presse. Ansonsten haben wir eine Bundespolizei, die vornehmlich begrenzte Aufgaben auf Flughäfen und in Bahnen wahrzunehmen hat. Das hat das Bundesverfassungsgericht 1998 ausdrücklich festgeschrieben. Und das Bundeskriminalamt hat eine Funktion als Zentralstelle, die immer dann zum Zuge kommt, wenn die Generalbundesanwaltschaft ermittelt. Auch das steht in der Verfassung. Hinzu kommen ein paar präventive Aufgaben zur Terrorismusbekämpfung. Die Verfassungslage will keiner ändern, auch der Bundesinnenminister nicht. Vielleicht einige Träumer auf Bundesebene, die daran glauben, dass alles besser wird, wenn man zentralistisch regiert.
Wir sind gut beraten, es bei der dezentralen Verantwortung zu belassen. Die Polizei vor Ort weiß am allerbesten, wo Schwerpunkte zu setzen sind und wo nicht. Alles andere ist eine Frage der vernünftigen Kooperation – bei der organisierten Kriminalität, bei Schleusungen, Rauschgifthandel oder Terrorismusbekämpfung. Wir haben ein hervorragend arbeitendes Terrorabwehrzentrum, an dem die Länder und der Bund beteiligt sind. Von daher geht alles an der Sache vorbei, was man derzeit über eine Superpolizei redet.
Die Generalbundesanwaltschaft hat kürzlich erneut gefordert, noch mehr Möglichkeit der Telekommunikationsüberwachung von Quellen zu bekommen, Computer auszuforschen. Ist das ein Weg?
Es gab eine endlose Debatte über die Onlinedurchsuchung. Die Möglichkeiten sind gegeben, aber nicht genutzt worden. Man sollte sich davor hüten, auf jedes Phänomen reflexartig mit dem Ruf nach neuen Kompetenzen oder Instrumenten zu antworten.
Gilt das auch für die um die Jahreswende ins Gespräch gebrachte Profiling-Idee an den Flughäfen?
Ich halte die Vorschläge erstens für diskriminierend und zweitens angesichts der Terroranschläge, die wir in der Vergangenheit beobachten konnten, für absoluten Quatsch. Anschläge können nicht nur von jungen Männern, sondern genauso von Frauen oder dazu benutzten und missbrauchten Kindern begangen werden. Wenn man sich nur auf eine enge Personengruppe konzentriert, werden terroristische Gruppen darauf entsprechend reagieren.
- Bis zum 15. Dezember kam es 2010 in Berlin zu 681 Funkwageneinsätzen wegen herumstehender Koffer und Taschen sowie verdächtiger Pakete.
- Allein seit der erhöhten Alarmstufe Mitte November sind es 290 Einsätze gewesen, im gleichen Zeitraum des Vorjahres lediglich 35.
- Die Generalbundesanwaltschaft fahndet in diesen Tagen per Haftbefehl nach zehn Personen mit Deutschland-Bezug, die sich wegen einer Terrorausbildung im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet aufgehalten haben.
- Nach der Aufregung um die Paketbomben entzog das Luftfahrtbundesamt 14 der gut 600 deutschen Logistikfirmen die Sicherheitslizenzen für Luftfrachtsendungen.
- Seit Wochen werden Gebäude mit erhöhtem Gefährdungsstatus optisch demonstrativ rund um die Uhr bewacht. Angaben über die Zahl der dabei eingesetzten Polizisten werden nicht gemacht.
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