»Wir stemmen uns gegen eine Polarisierung«

Montags im ND: Serie zur Obdachlosigkeit in Berlin / 5. Teil und Schluss: Gespräch mit Sozialsenatorin Carola Bluhm (LINKE)

  • Lesedauer: 4 Min.
Die 48-jährige Diplom-Soziologin leitet seit Herbst 2009 die Ressorts Integration, Arbeit und Soziales im rot-roten Berliner Senat. Über die Situation der Wohnungslosen in der Stadt sprach mit der Politikerin der Linkspartei für ND Stefan Otto.
»Wir stemmen uns gegen eine Polarisierung«

ND: In der ersten Kältewelle dieses Winters waren die Notübernachtungen teilweise überbelegt, und es mussten neue Schlafplätze eingerichtet werden. Ist die Kältehilfe jetzt gut aufgestellt?
Bluhm: Wir hatten einen Engpass und konnten aber in Friedrichshain-Kreuzberg und in Mitte ein erweitertes Angebot schaffen. Diese neuen Schlafplätze sind bereits finanziert. Das haben wir im Einvernehmen mit der Finanzverwaltung und den Bezirken erreicht.

Die Sozialstaatssekretärin Kerstin Liebich meinte, dass für die Berliner Obdachlosenhilfe auch die ehrenamtlichen Helfer eine tragende Säule seien. Tatsächlich?
Wir haben eine differenzierte professionelle Versorgung, und die brauchen wir auch. Wenn wir über Wohnungslosigkeit reden, dann impliziert dies immer die Obdachlosenszene. Aber es geht ja um einen viel weiteren Kreis: Viele stehen auf der Kippe zur Wohnungslosigkeit: Weil sie einen Schufa-Eintrag haben und deshalb keine neue Wohnung finden; es gibt Illegale in der Stadt ohne Aufenthaltsrecht; und auch die ärztliche Versorgung für Obdachlose ohne Krankenversicherung muss funktionieren. Für diese unterschiedlichen Schicksale haben wir eine Angebotsstruktur über die gesamte Stadt verteilt. Das ist die eine Seite. Die andere: Wir brauchen die Ehrenamtlichen. Viele Angebote würden ohne sie so nicht laufen.

Ist das Ehrenamt manchmal auch eine Notlösung?
Es geht nicht darum, dass die Ehrenamtlichen ein Ersatz für die professionellen Einrichtungen sind und deren Arbeit machen. Aber es tut unheimlich gut, wenn ein ehrenamtlicher Helfer mit anpackt und darum kein großes Aufsehen macht. Das führt zu einem anderen Klima in der Stadt. Vielen ist es ein Bedürfnis zu helfen. Der Entertainer Frank Zander würde es sich auch nicht nehmen lassen, einmal im Jahr Bedürftige zum Weihnachtsessen einzuladen.

Dann läuft also die Fürsorge weitestgehend reibungslos in Berlin?
Ja. Diese Hilfsmaßnahmen sollten aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass uns gerade ein dramatischer Strukturwandel einholt, und das Leben in den Innenstadtbezirken immer teurer wird. Es gibt eine Verdrängung von sozialen Problemen in die Außenbezirke. Diese Entwicklung konnten wir lange Zeit zurückdrängen, doch jetzt dürfen wir davor nicht unsere Augen verschließen. Eine Verknappung von Wohnungen auf dem freien Markt wird immer auch Auswirkungen auf Wohnungslosigkeit haben. Deshalb wollen wir die geschützten Mieten nicht aufgeben: Wir werden die Belegungsbindung weiter nutzen; und wir wollen das sogenannte geschützte Marktsegment erhalten und ausbauen. Darüber sind wir mit den Wohnungsbaugesellschaften im Gespräch.

Bruder Florian berichtet, dass zur Suppenküche der Franziskaner in Pankow nicht mehr nur Obdachlose kommen, sondern vor allem Sozialschwache. Ist die Not in Berlin größer geworden?
Dies ist auch unsere Beobachtung: Es gibt Menschen, die zwar eine Wohnung haben, sich aber mit in die Suppenküchen einreihen, weil am Monatsende das Geld knapp wird. Das ist eine problematische Tendenz.

Die Weichen dafür werden bundespolitisch gestellt?
So ist es. Mit der Einführung von Hartz IV gab es einen Armutsschub. Gerade Alleinerziehende und ihre Kinder sind betroffen, wenn nun alles über einen Regelsatz berechnet wird. Die Bundesrepublik ist ein reiches Land und dennoch von Chancengleichheit weit entfernt. Langzeitarbeitslosen wird pauschal unterstellt, dass sie nicht arbeiten wollen, obwohl es für sie keine Arbeitsplätze gibt. Sie fühlen sich dann nicht akzeptiert in der Gesellschaft.

Was kann Berlin tun, um diese Entwicklung abzufedern?
Wir haben mit den Stadtteilzentren, Kiezlotsen und Gemeindedolmetschern eine soziale Infrastruktur geschaffen, die es in anderen Städten nicht gibt. Diese Grundstruktur ist gut. Wir dürfen nicht nur auf die Verschlechterungen schauen, die es zweifelsohne gibt, sondern darauf, was wir erreicht haben, wie wir uns gegen die Polarisierung der Gesellschaft stemmen. Es gibt beispielsweise den »Berlinpass« für Hartz-IV-Empfangende. Dieser erlaubt einen vergünstigten Schwimmbad-, Kino- oder Theaterbesuch und wird intensiv genutzt. Den Betroffenen und uns ist es wichtig, gesellschaftliche Teilhabe zu sichern.

Noch einmal ein Sprung von den Sozialschwachen zu den Wohnungslosen: Berlin zieht viele Obdachlose aus Osteuropa an. Müssen die Hilfeeinrichtungen noch besser auf die Bedürfnisse dieser Notleidenden eingehen?
Mit der Osterweiterung der EU und der Globalisierung wandern auch die Armen. Die Betreuung von Wohnungslosen ist in Berlin offenbar besser als in anderen Ländern. Das mag sich herumgesprochen haben. Aber dennoch führen auch in Berlin die Obdachlosen kein Hotelleben. Wir leisten eine Grundversorgung, und die steht allen offen, ganz klar.

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