Bahnchef fährt auf neue Züge ab

Bei Anhörung von Rüdiger Grube im Abgeordnetenhaus noch nichts Konkretes zu Entschädigungen

  • Bernd Kammer
  • Lesedauer: 3 Min.
Wie lange die S-Bahn-Krise noch dauert, wusste auch der Bahnchef nicht.
Wie lange die S-Bahn-Krise noch dauert, wusste auch der Bahnchef nicht.

Lange hatten die Abgeordneten im Verkehrsausschuss auf diesen Auftritt gewartet, aber der Erkenntnisgewinn entsprach ihrer Erwartungshaltung nicht. Die Ausschussmitglieder erfuhren von Bahnchef Rüdiger Grube gestern weder, wie lange die S-Bahn-Krise noch andauern wird, noch wie sich die Bahn eine weitere Entschädigung der Fahrgäste vorstellt. »Wir denken über eine vernünftige Lösung nach und werden uns bis Ende Januar äußern«, so Grube zur finanziellen Entschuldigung. Noch seien Abstimmungen mit der BVG nötig. Die Abgeordneten forderten Freifahren mindestens im Umfang des Vorjahres.

Anfang des vergangenen Jahres hatte die Bahn noch zugesagt, bis Ende 2010 wieder nach normalem Fahrplan zu fahren. Auf eine neuerliche Terminsetzung wollte sich Grube diesmal nicht einlassen, »sonst sitze ich in ein paar Monaten wieder als schwarzer Bube hier«. Aber er zählte auf, was alles schief gelaufen ist, so dass das Versprechen nicht eingehalten werden konnte: Neue Probleme mit den Sandstreueinrichtungen für die Bremsen, die Stilllegung der Baureihe 485, weil die frühere S-Bahn-Geschäftsführung Prüffristen nicht eingehalten hat, und dann natürlich der härteste Winter seit 41 Jahren. Es habe bisher schon 1200 Störungen der Antriebsmotoren gegeben, im vergangenen Winter insgesamt 276.

Als Auslöser der Krise machte Grube aber erneut »die mangelhafte und falsch konstruierte Fahrzeugflotte« insbesondere der neuesten Baureihe 481 verantwortlich. Ohne Anschaffung neuer Züge ist nach seiner Ansicht kein stabiler Betrieb möglich. Die S-Bahn benötige 700 Doppelwagen, deren Konstruktion fünf bis sechs Jahre dauern würde. Deshalb müsse das Thema jetzt angegangen werden. Die Bahn sei bereit, die Kosten für »tragfähige Lösungen« zu übernehmen. Die Rede ist von bis zu zwei Milliarden Euro.

Bisher galt als unwahrscheinlich, dass die Bahn in neue Züge investiert, solange sie keine Gewissheit hat, den S-Bahn-Betrieb auch nach Auslaufen des Verkehrsvertrages 2017 fortsetzen zu können. Grube versicherte zwar, mit dieser Bereitschaft keinen Einfluss auf eine eventuelle Neuausschreibung der S-Bahn-Leistung nehmen zu wollen, die Grünen sprachen trotzdem von Erpressung. Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) sieht in der Ankündigung ein Ablenkungsmanöver, weil die Bahn keine Lösungen zur kurzfristigen Verbesserung der Situation anbieten kann. »Mit dem Versprechen neuer Züge sind alle anderen Maßnahmen nicht vom Tisch.«

Die Verkehrsexpertin der Linkspartei, Jutta Matuschek, nannte es eine schmerzliche Erfahrung, dass allein ein öffentlicher Eigentümer nicht ausreicht, um die Daseinsvorsorge Nahverkehr durchzusetzen. Weil der Bund bei der Bahn eine andere Strategie verfolge, forderte sie eine stärkere kommunale Einflussnahme bei der S-Bahn, etwa durch eine Direktvergabe der Leistungen an ein kommunales Unternehmen.

Dass die Bahn allein die Schuld beim Bahnhersteller sucht, aber nicht erklären kann, warum sie die fehlerhaften Züge abgenommen und auch auf Gewährleitungsansprüche verzichtet hat, wunderte sich der verkehrspolitische Sprecher der SPD, Christian Gaebler. Das ist auch für Grube, Bahnchef seit Mai 2009, ein Rätsel. Das habe ihm im Konzern noch keiner erklären können.

Nach seinen Angaben hat die Krise den Konzern 2009 und 2010 zusammen 370 Millionen Euro gekostet, bis 2014 werden 700 Millionen Euro erwartet. »Wir haben bisher eine Milliarde Euro in die S-Bahn investiert, aber noch keinen Euro damit verdient«, behauptete Grube, und man werde auch bis 2017 keinen Euro verdienen.

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