350 Jahre Wissensspeicher
Die Staatsbibliothek zu Berlin feiert in diesem Jahr Jubiläum / Beide Häuser bleiben Baustelle
Ihre Schätze sind Teil des kulturellen Welterbes. Sie sind äußerst fragil und liegen im Dunkeln, nur wenige Auserwählte bekommen sie zu Gesicht: Die Fragmente einer Koranschrift beispielsweise, aufgeschrieben 100 Jahre nach dem Tod Mohammeds, ferner eine armenische christliche Handschrift mit kostbaren Illustrationen oder auch die »Erfurter Bibel« aus dem Jahr 1343, die weltweit größte Pergamentausgabe einer hebräischen Bibel.
Die Orientabteilung der Berliner Staatsbibliothek gehört zu den frühesten Sondersammlungen aus der eigenen Gründungszeit. »Schon in den ersten Jahren gab es orientalische Handschriften aus China oder hebräische Handschriften, die der Kurfürst als Schenkung erhalten hat«, erklärt Abteilungsleiter Christoph Rauch.
Heute ist die Staatsbibliothek, die in diesem Jahr ihr 350-jähriges Bestehen feiert, die größte Universalbibliothek Deutschlands mit 10,8 Millionen Bänden. Darüber hinaus hütet sie 1,1 Millionen Karten, Pläne und Globen, rund 67 000 Musikautographe sowie zahlreiche andere Archivdokumente wie etwa den Nachlass des Theologen und NS-Widerstandskämpfers Dietrich Bonhoeffer.
Gegründet wurde der einzigartige Wissensspeicher 1661 als »Churfürstliche Bibliothek zu Cölln an der Spree«, ab 1781 avancierte sie zur Königlichen Bibliothek. Obwohl Privatbibliothek der jeweiligen Herrscher, war sie von Beginn an der Öffentlichkeit zugänglich. Mit Gründung der Berliner Universität 1810 diente sie vor allem der Alma Mater.
Bis 1884 wuchsen die Bestände rasant an, das Haus konnte sich auch international mit Paris oder London messen. 1914 erhielt die Institution einen neobarocken Monumentalbau Unter den Linden, errichtet durch den kaiserlichen Baumeister Eberhard von Ihne. Während des Zweiten Weltkriegs wurden die Bestände des »Preußischen Staatsbibliothek« in Bergwerke, Klöster oder Schlösser ausgelagert.
Nach Kriegsende kehrte ein Teil der Bücher in das Stammhaus zurück, das sich nun im Sowjetsektor der Stadt befand. Die im Westen ausgelagerten Bestände bildeten den Grundstock für die Staatsbibliothek-West, die 1978 in einem Neubau von Hans Scharoun nahe dem Potsdamer Platz eröffnet wurde. Erst seit 1992 sind die Institutionen wieder vereint. Das Stammhaus wird künftig historische Forschungsbibliothek sein, im Haus an der Potsdamer Straße wird der Schwerpunkt auf moderner Literatur liegen.
Vieles davon ist noch Zukunftsmusik, zumal beide Häuser seit Jahren Baustelle sind: Im Scharoun-Bau ist die Asbestsanierung in vollem Gang, das Stammhaus Unter den Linden wird generalsaniert, seit 1945 zum ersten Mal. Anstelle des kriegszerstörten historischen Kuppellesesaals wurden zu DDR-Zeit vier mittlerweile wieder abgerissene Magazintürme gebaut. Im Zentrum des Gebäudegevierts entsteht nach Entwurf des Stuttgarter Architekten HG Merz ein neuer Lesesaal, in dem »das Lesen wieder zelebriert werden« soll.
»Wir haben im Gegensatz zu Ihne, dessen Lesesaal ein Oktogon war, einen Kubus entworfen als einen Lichtkörper, der sehr viel Licht in den Saal lässt«, erläutert der Architekt seinen Entwurf. Der Glaskubus überragt bereits die historischen Bauten, doch die eigentlich für 2011 geplante Eröffnung wurde um ein Jahr verschoben. Komplizierte Planungsabläufe, Pleiten, Pech und Pannen, aber auch tragische Unfälle verzögerten die Fertigstellung.
In einem Seitenflügel ist die Musikabteilung untergebracht. Im Tresor lagern bei konstanter Temperatur und Luftfeuchte die Autographe von Mozarts »Zauberflöte«, Carl Maria von Webers »Freischütz« sowie 80 Prozent der Handschriften Johann Sebastian Bachs.
Das Problem des Tintenfraßes ist mittlerweile behoben, aber auf die Leiterin Martina Rebmann warten weitere Aufgaben: Säurehaltige Einbände sind eine tickende Zeitbombe, betroffen ist die gesamte Notenproduktion deutscher Musikverlage vom Ende des 19. Jahrhunderts bis 1945. »In den nächsten Jahren sehe ich es auf uns zukommen, dass die Einbände alle ersetzt werden müssen«, sagt die Leiterin. Die Kosten belaufen sich schätzungsweise auf 300 000 Euro.
So sieht sich die Bibliothek in ihrem Jubiläumsjahr zahlreichen Problemen gegenüber. Auch in der Digitalisierung der Bestände hinkt die Staatsbibliothek anderen großen Institutionen hinterher. Angesichts dieses Bergs von Aufgaben ist Generaldirektorin Barbara Schneider-Kempff bescheiden und wünscht sich bis zur Eröffnung des neuen Lesesaals Anfang 2012 nur einen »reibungslosen Weg«. Doch auch danach werden die Bauarbeiter nicht abrücken. Im Jahr 2014, hofft die Direktorin, soll das prunkvolle Stammhaus zum 100-jährigen Bestehen des Ihne-Baus in neuem Glanz erstrahlen.
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