»Beamte dürfen nicht streiken«

Frank Stöhr, 1. Vorsitzender der dbb tarifunion, über die Lage des öffentlichen Dienstes

  • Lesedauer: 6 Min.
Die dbb tarifunion ist die Tariforganisation des Beamtenbundes dbb. Sie vertritt die Interessen der in den 37 Mitgliedsgewerkschaften von dbb und tarifunion organisierten Beamten und Angestellten des öffentlichen Dienstes. Frank Stöhr ist seit 2003 der 1. Vorsitzende der dbb tarifunion. Am Rande der dbb-Jahrestagung in Köln sprach Jörg Meyer mit ihm über die am 4. Februar beginnende Tarifrunde im öffentlichen Dienst der Länder, das Streikrecht für Beamte sowie die Diskussion um eine gesetzlich geregelte Tarifeinheit, nach der laut einem Vorstoß von DGB und der Arbeitgebervereinigung BDA nur die Mehrheitsgewerkschaft in einem Betrieb Tarifverträge abschließen können soll.
»Beamte dürfen nicht streiken«

ND: Herr Stöhr, die Gewerkschaften fordern insgesamt fünf Prozent mehr Lohn für die Beschäftigten der Länder, die öffentlichen Haushalte klagen über leere Kassen. Der Verhandlungsführer der Arbeitgeberseite, hat der Fünf-Prozent-Forderung schon eine Absage erteilt ...
Stöhr: Bei den höheren Einkommens- oder Besoldungsgruppen ist es etwas weniger und bei den niedrigeren Einkommen gehen wir fast an die sechs Prozent. Wir haben diese Struktur gewählt, um der Einkommensentwicklung und vor allen Dingen den gestiegenen Lebenshaltungskosten Rechnung zu tragen. Es ist eine ausgewogene Forderung, die sowohl die öffentlichen Haushalte als auch die Haushalte unserer Beschäftigten berücksichtigt.

Seit dem Jahr 2004 haben wir zudem einen Gehaltsrückstand von acht Prozent gegenüber vergleichbaren Bereichen in der Privatwirtschaft. Wir werden das jetzt nicht alles aufholen können. Aber wir müssen alles daran setzen, eine weitere Abkopplung der Löhne zu vermeiden.

Wo genau liegen die Gefahren dieser Abkopplung?
Der öffentliche Dienst ist eine Stütze unseres Sozialstaates. Nehmen Sie die Bereiche Bildung oder Sicherheit, Polizei und Justiz, das sind Bereiche, die für den Staat von existenzieller Bedeutung sind. Wenn der öffentliche Dienst ausgehöhlt wird, weil wir keine motivierten Leute mehr bekommen, schadet das dem Staat und den Bürgern.

In den nächsten zehn Jahren müssen allein aus demografischen Gründen rund 20 Prozent der Stellen neu besetzt werden. Im Bereich der Länder sind das rund 400 000 Stellen. Wie sollen wir das denn machen, wenn die Beschäftigungsbedingungen und die Bezahlung im öffentlichen Dienst verglichen mit der Privatwirtschaft nicht attraktiv sind? Der ruhestandbedingte Aderlass in den nächsten Jahren würde dazu führen, dass der öffentliche Dienst großen Schaden nimmt.

Was sagen Sie zum Urteil des Düsseldorfer Verwaltungsgerichts zum Streikrecht für Beamte?
Die Sachlage ist klar: Beamte dürfen nicht streiken, und dazu stehen wir. Es wird vom dbb auch keinen Streikaufruf an die Beamten in der Tarifrunde geben.

Was wäre denn so schlimm, wenn auch die Beamten streiken dürften?
Bestimmte Grundregeln – das Alimentationsprinzip, die Versorgung aus dem letzten Amt – werden von Beamten erdient auch durch den Verzicht auf die Wahrnehmung bestimmter Rechte – wie das Streikrecht. Das ist ein Tauschgeschäft. Wenn ein Beamter alle Rechte hätte, dann würde sich sofort die Frage stellen: Wieso gilt noch der Alimentationsgrundsatz? Dann können sich Beamte ihre Tarifergebnisse auch im Arbeitskampf erstreiten.

Selbst wenn man am Streikrecht Änderungen erreicht, wenn das System also mit dem Streikrecht in den Tarifbereich hinein umgestellt würde – die Beamten bleiben auf Lebenszeit. Es gibt viele Berechnungen mit dem Ergebnis, dass eine Umstellung sehr teuer wäre. Die Versorgung für die Beamten läuft weiter, und für alle neu Eingestellten müssen zusätzlich die Arbeitgeberanteile für Sozial- und Rentenversicherungen bezahlt werden. Insofern würde eine Umstellung für den Staat höhere Kosten verursachen. Um die zu decken, würden dann wieder weitere Sparmaßnahmen kommen, die wieder zu Lasten der Beschäftigten gehen.

Also ist diese Umstellung sowohl aus rechtlichen Gründen als auch für die Beschäftigten sehr problematisch. Da sagen wir Nein.

Wie groß ist hier der Konflikt mit den DGB-Gewerkschaften?
Wir sind in dieser Frage grundsätzlich unterschiedlicher Auffassung. Das gibt es aber auch in anderen Bereichen, etwa bei der Gesundheitsreform. Das heißt aber nicht, dass man nicht miteinander spricht, gemeinsame Interessen definiert oder keine gemeinsame Tarifrunde mehr machen kann. Dort, wo wir gemeinsam gewerkschaftspolitische Arbeit zum Wohle der Beschäftigten machen können, da machen wir das auch.

Ein anderer Bereich, in dem es eine grundsätzliche Meinungsverschiedenheit zwischen dbb und DGB gibt, ist die gesetzlich geregelte Tarifeinheit ...
Die gemeinsame Initiative von DGB und BDA hat mich sehr überrascht. Die BDA hat immer das Ziel gehabt, Rahmenbedingungen zu schaffen, um für sich ökonomisch das Bestmögliche zu erreichen. Sie hat vieles dazu getan, dass die Tarifbindung stark zurückgegangen ist – mit den bedenklichen Konsequenzen, dass beispielsweise bei Siemens oder den Postzustelldiensten Arbeitnehmerorganisationen eingerichtet wurden, die sehr unternehmensnah waren und die über Billigtarife das Tarifniveau nachhaltig verändert haben.

Der Kern dieser Initiative, wenn mit einer Gewerkschaft ein Tarifvertrag abgeschlossen ist, dürfen die anderen nicht streiken, ist ein massiver Eingriff in das Streikrecht. Aus der Philosophie der BDA heraus kann ich das nachvollziehen. Aber warum der DGB das mitträgt, hat sich mir noch nicht erschlossen. Man könnte ja unterstellen, dass der DGB einen Alleinvertretungsanspruch damit durchsetzen will. Ich denke, dass die Frage auch im DGB-Lager sehr kontrovers diskutiert wird. Eine gesetzlich geregelte Tarifeinheit würde zudem die Sozialpartnerschaft in großem Maße beschädigen.

Warum?
Wenn nur noch die Mehrheitsgewerkschaft einen Tarifvertrag abschließen kann, was machen denn die Mitglieder der kleineren Gewerkschaft? Würde im öffentlichen Dienst ein Tarifabschluss gemacht, an dem wir nicht beteiligt sind, und wir hätten nicht die Möglichkeit, Arbeitskämpfe zu führen, würden unsere Mitglieder sagen: »Ihr könnt nicht wirklich etwas für uns durchsetzen.«

Diese Menschen würden aber noch lange nicht bei ver.di eintreten, wahrscheinlicher ist, dass sie den Gewerkschaften ganz verloren gehen. Das würde bedeuten, dass alles, was wir an Tarifbindung und Gewerkschaftsbewegung haben, sich weiter verkleinern würde. Das wäre eine fatale Entwicklung.

Die Spartengewerkschaften sind kampfstark und berücksichtigen oft nur die Interessen ihrer Berufsgruppe. Werden sie so einer sozialen Verantwortung gerecht?
Dieses Spannungsverhältnis gibt es. Aber: Wir haben beispielsweise bei den Universitätsklinken 2006 für den Tarifvertrag der Länder gestreikt, und der Marburger Bund ist damals ausgeschieden und hat für die Ärzte gekämpft. Das war in den Verhandlungen immer ein wechselseitiges Aufeinandergucken. Man kann nicht sagen, die Ärzte haben zu Lasten der anderen Beschäftigten abgeschlossen. Im Tarifniveau ist es im Wesentlichen der gleiche Abschluss gewesen. Das gilt auch für andere Bereiche, wie bei der GDL für die Lokführer.

Sind sie der gleichen Meinung wie der Bundesinnenminister? Der hat auf der dbb-Jahrestagung gesagt, ihm gefalle die alte Regelung eigentlich ganz gut.
Wir sollten jetzt abwarten, wie sich das BAG-Urteil zur Tarifeinheit vom Dezember auswirkt. Es wird ja immer gesagt, es gibt Funktionseliten, wie Piloten oder Lokführer, die alles kaputtmachen können, die unsolidarisch die gesamte Tariflandschaft verändern können. Ich sehe diese Entwicklung in der Realität überhaupt nicht.

Zuerst müssen wir also eine Folgeabschätzung machen, ob ein Gesetz zur Tarifeinheit überhaupt die erwünschte Verbesserung bringt. Das ist nicht erwiesen. Wenn klar ist, welche Gewerkschaft die Mehrheitsgewerkschaft ist, deckt diese Gewerkschaft auch das gesamte Spektrum der Berufsgruppen ab? Wenn ver.di in erster Linie für die unteren Einkommensgruppen abschließt, was machen dann die höheren Einkommensgruppen? Die dürften dann für ihre Forderungen nicht eintreten. Ich finde es deshalb am sinnvollsten, wenn sich wie jetzt in der Einkommensrunde der Länder die Gewerkschaften gemeinsam an einen Tisch setzen und so das gesamte Spektrum abgebildet wird. Wer versucht, das gesetzlich zu regeln, belastet nur den Betriebsfrieden. Also: Erst abwarten, wie die Entwicklung ist, und dann kann man prüfen, ob es so ein Gesetz überhaupt braucht.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.