»Skandal im Skandal«
Dioxin im Tierfutter: Verbraucherschutzministerin Aigner blickt verärgert nach Niedersachsen
Bei einem Besuch im Niedersächsischen Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (LAVES) am Freitagabend war Aigner zu den neuen Fällen nichts gesagt worden. Behörden hatten am selben Abend auf Grund von Ermittlungen eben jenes Amtes weitere 934 Höfe in Deutschland wegen Verdachts auf Dioxin durch belastetes Futter gesperrt: in Nordrhein-Westfalen, Brandenburg und Bayern. Bei der Visite im LAVES war Ilse Aigner von Staatssekretär Ripke und Niedersachsens Umweltminister Hans-Heinrich-Sander (FDP) begleitet worden, der als kommissarischer Agrarminister fungiert. Labors wurden präsentiert, zu neuen Verdachtsfällen aber sagte niemand etwas. Doch ein Mischfutterhersteller aus dem niedersächsischen Damme hat womöglich dioxinbelastete Ware verkauft – aber nicht vollständig angegeben, an welche Höfe. Das kam nun heraus, Folge: 934 Betriebe wurden gesperrt, die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen die Futterfirma.
Erst am Samstagmorgen wurde das Bundesministerium benachrichtigt. »Für mich ist das ein Skandal im Skandal«, reagierte Ilse Aigner. Dass die Behörden bei den Ermittlungen dem Lieferanten erst nach zwei Wochen auf die Spur kommen, sei das eine der Sache. »Dass mir die neue Dimension am Freitagabend bei meinem Besuch in Niedersachsen verschwiegen wurde, ist das andere.«
Interims-Agrarminister Sander reagierte pikiert auf Aigners Rüge: »Der Umgang ist mehr als peinlich«, sagte er gestern in Hannover. Er selbst sei auch erst am Samstagmorgen über die Ausweitung des Skandals informiert worden. Nun wird auf personelle Konsequenzen gewartet. Solche hatte Ilse Aigner mit Frist bis Samstagabend von Niedersachsens Ministerpräsident David McAllister gefordert – ohne Reaktion. Umweltminister Sander ist die Verantwortung für die Landwirtschaft in wenigen Tagen los. Am Mittwoch vereidigt der Landtag den neuen Agrarminister Gert Lindemann (CDU).
Wird er die von Ilse Aigner begonnene Sägerei am Stuhl von Staatssekretär Ripke vollenden? Die Opposition würde das begrüßen. »Ripke informiert nur über das, was bereits geschehen und nicht mehr zu verhindern ist«, meint Marianne König, agrarpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Landtag. Der Staatssekretär habe in puncto Krisenmanagement ebenso versagt wie der glücklose Übergangsminister Sander. »Der hat nicht ein einziges Mal ein Statement zum Dioxin-Skandal abgegeben.«
»Der Staatssekretär ist gnadenlos überfordert«, bilanziert Andrea Schröder-Ehlers, Agrarsprecherin der SPD-Fraktion. Es sei zu befürchten, dass die Ausdehnung des Skandals schon am Freitagmorgen bekannt war. Das aber hieße: Die Bundesministerin ist beim Besuch im LAVES schlichtweg belogen worden. Um weiteren Schaden vom Agrarland Niedersachsen abzuwenden, seien personelle Veränderungen notwendig. Das betreffe auch den Staatssekretär. Stefan Schostok, SPD-Fraktionsvorsitzende, ergänzt: Das »katastrophale Krisenmanagement« sei auch Ministerpräsident McAllister anzulasten. »Weiß er überhaupt noch, was im Lande los ist?« Ein Krisenstab müsse gebildet werden.
Sofern Minister Sander und Staatssekretär Ripke am Freitagabend Kenntnis von der neuen Lage hatten, müsse beiden sofort die Verantwortung entzogen werden: Dies fordert der Fraktionsvorsitzender der Landtagsgrünen, Stefan Wenzel.
Morgen kommen in Berlin die deutschen Agrar- und Verbraucherschutzminister zu einer Sondersitzung zusammen. Dabei soll es um Konsequenzen aus dem Dioxin-Skandal gehen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.