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Die Wiesen sind abgesoffen
Auch weitab der üblichen Katastrophengebiete gibt es Hochwasser – das ganze Jahr über
Während ansteigende Pegel etwa an der Oder regelmäßig die regierende Politik Stiefel überstülpen und Dämme erklimmen lässt, scheint sie Überschwemmungen in den Gemarkungen Schmöckwitz, Erkner, Gosen, Neu Zittau, Hartmannsdorf, Braunsdorf, Hangelsberg, Mönchwinkel, Spreeau, Fürstenwalde, Spreenhagen und anderswo wenig zu rühren. Hier stehen Acker- und Weideflächen das gesamte Jahr über mal mehr und mal weniger unter Wasser. Teilweise sind Wege und Straßen nicht befahrbar.
Die Bewohner nicht weniger Häuser fühlen sich genervt und sind fast ständig damit befasst, Keller und Garagen leer zu pumpen und Zugänge mit Sandsäcken dicht zu machen. Zumeist erweist sich ihr Tun als vergebliche Mühe. Auf den Weideflächen drängt sich das Vieh auf den wenigen kleinen Anhöhen, die sich wie Inseln aus der Landschaft erheben. Die Wiesen sind kaum noch zu gebrauchen. Bäuerliche Tierhaltung wird zum unkalkulierbaren Risiko, Wohnen zum tagtäglichen Entwässerungsstress.
Zu den Betroffenen gehört der Landwirtschaftsbetrieb Dr. Lehmann / Antje Lehmann / Volker Schmohl in Gosen-Neu Zittau. Seit 1989 wird hier eine nachhaltig ökologische und naturnahe Landwirtschaft betrieben. Die Humboldt-Universität Berlin begleitet das Projekt. Hier bilden sich Studenten – auch solche aus dem Ausland – in Praktika weiter, manche werden bis zur Promotion betreut. Zudem müht man sich, bei der sozialen Integration von Jugendlichen zu helfen. Volker Schmohl zufolge wird es für den Hof aber immer schwieriger, naturnahe Wirtschaftsweise und Rentabilität unter einen Hut zu bringen. Das hänge damit zusammen, dass die Landesregierung nach einer EU-Richtlinie seit 1996 die Meliorationen in der Müggelspree-Niederung rückgängig mache, sie also renaturiere. Seither gibt es im näheren Umland keinen Hochwasserschutz mehr. Pumpen sind abgestellt, Abflussgräben werden nicht mehr entkrautet und anderweitig frei gehalten, wie es nötig wäre. Grünflächen saufen im wahrsten Sinne des Wortes ab. Schmohl hat die Bürokratie in Verdacht des vorsätzlichen Nichtstuns. Sie wisse genau, was sie tue, sage es aber nicht. »Unser Problem aber liegt darin, dass das Ansinnen des Landes über das hinausgeht, was wirtschaftlich tragfähig ist.«
Der umfängliche Schriftverkehr mit Ämtern und Behörden, der seither geführt wird, mutet wie eine Satire aus der Rubrik Politik und Wutbürger an. Mehrmals bittet man den Ministerpräsidenten um Hilfe. Eine direkte Antwort wird nicht bekannt. Behörden werfen Schmohl vor, mit altem Kartenwerk aus einem nie begonnenen Projekt zu argumentieren. Man vereinbart Ortsbegehungen, ohne ihn und andere Kritiker des Geschehens einzuladen – und landet auf einem Hof, der gar keine Probleme mit den Pegeln kennt.
Die hohen Wasserstände seien normal, heißt es, die Bauern mögen entsprechend ihr Betriebskonzept ändern. Sie werden aufgefordert, aufgrund der kritischen Lage ihr Vieh auf höher gelegene Flächen zu bringen. Aber wohin, wenn ein erheblicher Teil unter Wasser steht? Die Bürokratie sagt: Es habe zu reichhaltige Niederschläge gegeben. Dem sei die Misere der letzten Jahre geschuldet. Schreiben gehen an sämtliche Landtagsabgeordnete, ausgedehntes Kauderwelsch, keine akzeptable Lösung, wenn überhaupt reagiert wird.
Die Linkspartei, damals noch in der Opposition, wendet sich mit kleinen Anfragen an die Landesregierung. Die Antworten befriedigen nur die, die sie verfasst haben. Der Landtagsabgeordnete Peer Jürgens (LINKE) hat den Wahlkreis 2009 gewonnen. Er beschäftigt sich erst seit wenigen Wochen näher mit dem Problem, hat sich die letzten Tage mit dem Landesumweltamt verständigt und will mit Umweltministerin Anita Tack (LINKE) bereden, was man tun kann. »Auf jeden Fall muss den Bürgern vor Ort schnell Hilfe zuteil werden«, meint er.
Laut Schmohl sagte Agrarminister Jörg Vogelsänger (SPD) auf dem Landesbauerntag 2010 Unterstützung zu. Geschehen sei bislang nichts. Eine Bundestagsabgeordnete der Grünen informiert, sie habe das Anliegen der Landtagsfraktion übermittelt. Bislang keine Antwort. Die CDU sendet eine Empfangsbestätigung, sonst nichts. Aus der EU wird Verständnis signalisiert, aber darauf hingewiesen, dass für Folgeschäden der EU-Richtlinie die Bundesrepublik und das Bundesland zuständig seien. Ein vormaliger SPD-Fraktionsvorsitzender im Landtag sieht kein zu beanstandendes Tun der Bürokratie und empfiehlt, dies vom Gericht überprüfen zu lassen. Das entscheidet gegen Schmohl und Co., das Oberlandesgericht hebt den Spruch auf, in einer nächsten Verhandlung wird die Klage erneut abgewiesen. Nun liegt dem Oberlandesgericht erneut eine Berufung vor. Seit einem Jahr übrigens. Die Aufzählung ließe sich noch eine gute Weile fortsetzen. Dass die Dauersintflut irgendwann endet, ist bislang nicht abzusehen. Deshalb sind die Betroffenen inzwischen dabei, sich zu organisieren.
Indes wurde Volker Schmohl von Oder-Spree-Landrat Manfred Zalenga angezeigt. Schmohl hatte gesagt, er wünsche sich den Geschäftsführer des Landschaftspflegeverbandes Untere Spree »im gestreiften Anzug mit einer Nummer drauf«. Zalenga interpretierte dies als Anspielung auf die Häftlingskleidung in den faschistischen Konzentrationslagern. »So etwas habe ich nicht gemeint«, beteuert Schmohl. Er habe den Verband als kriminell brandmarken wollen und keineswegs einen unangemessenen Nazivergleich im Sinn gehabt.
www.lela24.de/hochwasser-burig/index.html
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