Missglücktes Gangsterstück in der Karl-Marx-Allee

Wer war der zweite Mann bei einem Überfall vor fünf Jahren? – jetzt scheint das Geheimnis gelüftet

  • Lesedauer: 3 Min.
Peter Kirschey aus Berliner Gerichtssälen
Peter Kirschey aus Berliner Gerichtssälen

Es war ein Krimi, wie er im Buche steht: 9. November 2006, 19.30 Uhr. Vor der Sparkasse Karl-Marx-Allee, einst das überaus beliebte Restaurant »Budapest«, hält ein Geldtransporter der Firma Brinks. Zwei Sicherheitsleute steigen mit je zwei Geldkoffern aus dem Wagen, der Fahrer bleibt im Fahrzeug. Da stürmt ein bewaffneter Mann aus der Dunkelheit auf sie zu und schreit: »Geld her, das ist ein Überfall.« Er ballert mit einer sehr echt aussehenden Schreckschusspistole wild um sich, die Wachleute schießen zurück, der Gangster Otto R., er wurde 59 Jahre alt, bricht tödlich getroffen zusammen. Ein zweiter Mann nähert sich dem Sterbenden, beugt sich kurz nach unten und geht dann ruhigen Schrittes in Richtung Strausberger Platz. Sekunden nur, dann ist Spuk vorbei.

In der Tasche des Toten finden die Ermittler einen Schlüssel. Er gehört zu einer Wohnung in Nähe des Tatorts, Mieter ist der heute 68-jährige Heinz Leopold L. Ein ehemaliger Millionenbetrüger, ein Gangster der Extraklasse. Er wird als zweiter Mann verhaftet – und wieder freigelassen. Zur Tatzeit war er mit Kumpel Arthur zu Hause gewesen und hatte angeblich ferngesehen. Kumpel Arthur bestätigt das Alibi. Da am Tatort keine Spuren zu finden sind, kann die Polizei nicht das Gegenteil beweisen. Heinz Leopold präsentiert sich einer Boulevardzeitung. Er gibt sich unschuldig und erschüttert, will nicht gewusst haben, was sein alter Knastfreund Otto an diesem Tage getrieben habe. Die beiden kannten sich aus dem Gefängnis Hamburg-Fuhlsbüttel. Otto saß wegen mehrerer missglückter Banküberfälle, Heinz Leopold, der Gentleman, wegen mehrfachen Betruges. Beide wurden 2006 vorzeitig entlassen, weil sie eine gute Sozialprognose erhielten. Sie zogen nach Berlin und gründeten in der Karl-Marx-Allee zwei Monate vor dem missglückten Überfall eine Art Gangster-WG. Die Suche der Polizei verläuft im Sande, der Fall wird zu den Akten gelegt.

Im Sommer 2010 jedoch unterläuft Heinz Leopold ein folgenschwerer Fehler: Er verkracht sich mit dem einstigen Alibigeber, Kumpel Arthur zieht seine Aussage von 2006 zurück. Noch am selben Tag, etwas später, klicken die Handschellen und Heinz Leopold sitzt wieder hinter Gittern.

Seit gestern wird ihm der Prozess gemacht. Der hagere alte Herr mit der gepflegten Sprache will von seinem Schweigerecht Gebrauch machen. Nur die Angaben zur Person bestätigt er: 68 Jahre, Rentner, geschieden, Rente 540 Euro. Mehr sagt er nicht. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft war es versuchter schwerer Raub, weil er versucht habe, »eine fremde bewegliche Sache wegzunehmen«. Wie inhaltsschwer die »fremde bewegliche Sache«, die Geldkoffer, gewesen sind, wird wohl im dunkeln bleiben, ebenso, ob Heinz Leopold tatsächlich der zweite Mann war. Denn Zeugen, die die Tat aus etwa zehn Metern Entfernung beobachteten, haben ihn nicht wiedererkannt. Nur dass es eine männliche Person ohne besondere Merkmale war, konnten sie mit Sicherheit sagen.

Die Verhandlung sollte eigentlich mit der Vernehmung des Wachmannes beginnen, der damals die tödlichen Schüsse auf den Räuber abgab. Doch der ist bis heute nicht in der Lage, sich in der Öffentlichkeit zu äußern. Er lebe in permanenter Angst vor dem zweiten Täter, fürchtet seine Rache, lässt er dem Gericht mitteilen. Ein weißer Mercedes habe im letzten Jahr versucht, sein Fahrzeug zu rammen. Seitdem bange er um sein Leben und wolle seine Identität nicht preisgeben. Das Gericht wird ihn nun im Laufe des zweimonatigen Verfahrens per Videoschaltung zu dem Geschehen hören.

Ob es unter dem Strich für eine Verurteilung von Heinz Leopold reichen wird, bleibt offen, denn Kumpel Arthur kann ja auch – als er 2010 seine Aussage von 2006 zurückzog – gelogen haben. Und selbst wenn er es war, der sich über den Toten gebeugt hatte. Ein Beweis für seine Mittäterschaft ist damit noch nicht geliefert. Und so ist nach dem ersten Tag alles offen.

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