Der kultivierte Böse

Das Schwule Museum ehrt Jean Genet zum 100. Geburtstag mit einer Hommage

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 3 Min.
Arno Wilms, »Genet«
Arno Wilms, »Genet«

Welch ein Leben, ein Werk, eine von Widersprüchen gebeutelte Persönlichkeit dahinter! Die Erstbegegnung mit Jean Genets »Wunder der Rose«, noch zu DDR-Zeiten privat geliehen, bleibt ein unvergesslicher Schock: in der Verherrlichung von Gewalt und Sex als dualen Erscheinungen. Im Dezember 2010 wäre der Autor – Bürgerschreck und Gesellschaftsopfer zugleich – 100 geworden. Das Schwule Museum, gerade selbst im 25. Jahr seines Bestehens, ehrt ihn mit einer großen Ausstellung, die das Rätsel Genet nicht lösen, den Besucher aber auf eine Spur bringen kann.

Drei Räume voller Archivalien, die das Mosaik eines kaum Fassbaren puzzeln. Zitate aus Sartres Werk »Saint Genet, Komödiant und Märtyrer«, das Hubert Fichte »Affäre des Philosophen mit dem Verbrecher« nennt, unterliegen den Exponaten im ersten Raum. War für Sartre der frühe Genet ein »absolutes literarisches Genie«, unterzog er ihn in jenem Buch einer Psychoanalyse. Wie anarchisch Genets Kindheit verlief, lassen das Foto von der Erstkommunion, mit Sakko und Schleife, und das Lob eines Schulkameraden, wie perfekt der Junge als Ministrant sang, nicht ahnen. Die Mutter gab das Baby ab, Pflegeeltern erzogen es, wurden vom Knaben bestohlen, der als bester Schüler der Gemeinde abschloss. Immer war Genet auf der Flucht, aus der Lehre, später der Armee, durchlebte Anstalten, hatte zwischen 1937 und 1942 unfassbar viele Festnahmen und Verurteilungen. Er kam immer wieder frei, als Berühmter dann durch Intervention gleichfalls Berühmter, die für ihn aus lebenslang drohender Haft endlich die Begnadigung erwirkten.

In der Haft fand Genet zum Schreiben, über ein Gedicht zu den Romanen »Notre-Dame-des-Fleurs«, »Miracle de la Rose« und »Querelle de Brest«. Genet polarisierte, feierte offenblusig seine Homosexualität, zog Bewunderer an. Jean Cocteau etwa, den Bildhauer Alberto Giacometti, den Romancier Tahar Ben Jelloun. Provokant auch Genets Bühnenwerke: das Hassspiel »Die Zofen«, das nur mit Schwarzen zu besetzende »Die Neger«, die in »Die Wände« anklingende Kritik an Frankreichs Algerien-Krieg. Die wütenden Proteste und Ausschreitungen der Rechten vorm Theater erhoben Genet in den Rang eines politischen Autors. Als der engagierte er sich später, schon renommiert, gegen Vietnam, für die Rechte der Palästinenser, für Angela Davis, leider auch für Hitler und die RAF. Genet geriet vom Frontkämpfer zwischen fast alle Fronten.

Die Ausstellung präsentiert Buchausgaben im Original, zitiert Prominente, so Derrida, Truffaut, Moreau, Jahnn, Ottinger, mit gegensätzlichen Aussagen, bebildert reich auch Genets Liebe zu jungen Freunden, zu denen er sich nicht immer fair verhielt und so auch einen Suizid zu verantworten hat. Auf der Kachelwand erleben Männer nach Cocteaus Zeichnung handgreiflichen Sex, die Säule hält masturbierende Knaben in Fülle bereit. Genet, der auch in Berlin Station machte und sich hier durch Prostitution ernährte, war der Typ fürs Deftige und zugleich sensibler Chronist Ausgestoßener. Hubert Fichte sagte angesichts dessen Werk, »wie soll man als Übersetzer Wörter finden für das, wofür man eben noch vergast wurde?«. Übersetzt wurden Genets Bücher zwar auch ins Deutsche, »Notre-Dame-des-Fleurs« löste 1962 einen Skandal aus, stand, wie eine Zeitung titelte, »auf der Anklagebank«, musste vom Landgericht Hamburg zugelassen werden. Das Dossier des Prozesses liegt aus. Jean Marais malte Genet in Öl als kantigen, seriösen Charakter, Künstler von Rang illustrierten seine Bücher.

Raum 2 widmet sich Aufführungen der Stücke, neben New York oder Polen besonders in der Bundesrepublik. Dort gingen in Berlin »Der Balkon« und »Die Wände« in Harry Lietzaus Regie, »Die Zofen« mit Helmut Griem, Thomas Holtzmann übers Schlosspark Theater, inszenierte Hans Neuenfels mit Bernhard Minetti »Der Balkon« fürs Schiller Theater, in Köln Werner Schroeter »Unter Aufsicht«.

Raum 3 befasst sich mit dem Gezerre um die Verfilmung von »Querelle«, Schroeter wollte, Fassbinder durfte. Und der Besucher darf sich den ganzen Film ansehen.

Bis 7.3., Schwules Museum, Mehringdamm 61, Telefon 69 59 90 50, www.schwulesmuseum.de

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