Der Himmel über Afghanistan

»Brothers« von Jim Sheridan

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 4 Min.

Der gute Bruder geht nach Afghanistan in den Krieg und wird dort für tot erklärt. Der andere, der jüngere Bruder, eben aus dem Gefängnis entlassen und bisher das schwarze Schaf der Familie, durchläuft eine komplette Wandlung und tröstet fortan die Witwe und Waisen. Bis sich erweist, dass der gute Bruder gar nicht tot war, sondern nur gefangen. Mit seiner Rückkehr wird alles noch einmal ganz anders. Denn er wird seelisch schwer versehrt gerettet, findet keine Ruhe mehr im Schoß seiner Familie und verhält sich nun just so, wie man es eigentlich vom schwarzen Schaf der Familie erwartet hätte.

Wem die Geschichte bekannt vorkommt, der hat vermutlich das Original gesehen, »Brothers – Zwischen Brüdern« von Susanne Bier. Dieser neue »Brothers« von Jim Sheridan ist das Hollywood-Remake, geglättet, vereinfacht, verdünnt – und eigentlich überflüssig. Statt in einer dänischen Mittelschichtfamilie, in der die Brüder mit ihren Eltern am Abendbrottisch sitzen, wo der eine, der Offizier, der demnächst zurück gehen wird nach Afghanistan, der Held ist, und der andere, der vorbestrafte, gewaltbereite Kleinkriminelle, nur mühsam geduldet, spielt der neue Film über die ungleichen Brüder in einer Soldatenfamilie. Vater Hank (Sam Shepard, mit selbst für seine Verhältnisse auffällig fest zusammengebissenen Zähnen) ist ein pluri-dekorierter Berufssoldat und Vietnam-Veteran, der ganze Ort, in dem die Familie lebt, eine dieser Kasernenstädte, wie man sie so glücklicherweise nur aus US-amerikanischen Filmen kennt.

Sohn Sam (Tobey Maguire) hat es seinerseits bis zum Hauptmann gebracht und steht kurz vor seinem zweiten Einsatz in Afghanistan. Sohn Tommy (Jake Gyllenhaal) wird gerade noch rechtzeitig aus dem Gefängnis entlassen, wo er wohl wegen eines Raubes saß, um den Vorzeigesohn der Familie zu verabschieden. Der hat ein gutes Verhältnis zu seiner Frau Grace (Natalie Portman) und seinen beiden kleinen Töchtern. So gut, dass er auf ihre ausdrücklichen Bitten hin von seinem lebensgefährlichen Beruf absehen würde, ist es dann aber doch wieder nicht. Vater Hank mag nach dem Ende seiner aktiven Karriere den Kriegstraumata und dem Alkohol erlegen sein, Sohn Sam wird das mit dem Krieg erst einmal richtig machen.

Wie die Vorlage macht auch diese zweite Version des Stoffes von Susanne Bier und Dänemarks Vielschreiber Anders Thomas Jensen dem Zuschauer keine Minute etwas vor, was Sams Schicksal angeht, der gleich bei seiner ersten Flugmission vom Himmel über Afghanistan geschossen wird. Einer seiner Soldaten und er sind die einzigen Überlebenden der Mission, und sie landen in den Händen der Taliban. Während die Familie zu Hause die Nachricht vom Verlust ihres Fluggerätes und aller Insassen erhält – die beiden ominösen Gestalten in Ausgehuniform, die diese Nachricht überbringen, brauchen gar kein Wort mehr zu sagen, so klar sind sie als Todesboten längst ikonisch –, werden Sam und sein Soldat in Afghanistan gefoltert. Und während daheim der undisziplinierte Tommy zur Überraschung aller sein verborgenes Potenzial an Mitmenschlichkeit und Trösterqualitäten ausschöpft, geht Sam in Feindeshand psychisch den umgekehrten Weg.

Darin, wie der Film mit diesen Parallelhandlungen in divergierende Richtungen umgeht, liegt dann der nächste große Unterschied zum dänischen Original. Gab es dort lange Gespräche zwischen den Gefangenen, in denen der Offizier seinem Soldaten Mut zu machen suchte, der sich ebenso schnell wie rangkonform als der Schwächere der beiden erwies, ist in Sheridans Neuverfilmung mehr Zeit für das Renovieren der Küche im heimischen Nest, das der jüngere Bruder unternimmt, um seiner Schwägerin bei der Trauerarbeit zu helfen. Wobei die Anziehung der beiden hier über einen schnell wieder zurückgenommenen Kuss natürlich nicht hinausgehen darf – alles andere hieße ja, der Truppe in den Rücken zu fallen.

Was der Film dann trotzdem noch tut, hier seiner Vorlage entsprechend. Denn als Sam befreit wird, hat er nicht nur ein gehöriges Kriegstrauma weg, sondern auch selbst nicht wiedergutzumachende Schuld auf sich geladen, die sich nach seiner Rückkehr prompt in häuslicher Gewalt Bahn bricht. Dass Sheridans Remake ihm und dem Film trotzdem so etwas wie die Hoffnung gönnt, ist dann der dritte große Unterschied zur Vorlage. Dort verschob sich das häusliche Glück ungleich nachhaltiger in Richtung auf Frau, Kinder und Onkel als neuer Kernfamilie – schließlich hatte der Vater den fernen Krieg und alle seine Gefahren dem häuslichen Frieden eindeutig vorgezogen – und dann gesehen, was er davon hatte.

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