Vor 50 Jahren, am 14. Juli 1951, ist Arnold Schönberg 76-jährig im kalifornischen Los Angeles gestorben. Dass sein Werk aus Anlass dieses Jubiläums Schwerpunkt der Berliner Festwochen im September sein wird, ist nur folgerichtig: Für die musikalische Entwicklung der »ernsten Musik« im 20. Jahrhundert war Schönberg die umstrittenste und zugleich bedeutendste Gestalt. Seine Negierung der konventionellen Tonalität - der in allen Epochen seit dem Barock vorherrschenden Gruppierung von Melodien und Akkorden in eng begrenzten Systemen von »wohlklingenden« Intervallen, Tonarten und -geschlechtern - und ihre Ersetzung durch Kompositionen auf der Basis aller existierenden zwölf Töne in Reihenform, Zwölftonmusik genannt, spaltete die Musikwelt. Wobei in der negativen Rezeption seiner Werke der Antisemitismus eine bedeutende Rolle spielte.
Dem am 13. September 1874 in Wien geborenen Arnold Schönberg war die musikalische Laufbahn keineswegs in die Wiege gelegt worden. Der Sohn eines jüdischen Schuhfabrikanten beschäftigte sich seit frühester Kindheit autodidaktisch mit dem Geigenspiel und dem Verfassen einfacher Märsche und Polkas. Die von den Eltern erwartete bürgerliche Laufbahn scheiterte sowohl an finanziellen Engpässen wie auch an dem unbändigen Wunsch Schönbergs, Musiker zu werden. In seiner Jugend beschäftigte er sich intensiv mit der Arbeiterbewegung und dem Marxismus, fand darin letztendlich aber keinen Bezugspunkt zu seinem irrationalistisch und religiös geprägten Weltbild. In dieser Zeit entstanden u.a. das Streichsextett »Verklärte Nacht«, das als musikalische Lyrik auf Richard Dehmels gleichnamiges Gedicht bezogen ist, die sinfonische Dichtung »Pelléas und Melisande« oder die »Gurrelieder«, ein Hauptwerk lyrisch begründeter Weltanschauungsmusik.
Nach einem zweijährigen Berlin-Aufenthalt, wo er die Stelle des Kapellmeisters am Kabarett »Überbrettl« innehatte, kehrte Schönberg 1903 nach Wien zurück und unterrichtete ab 1904 an den reformpädagogisch orientierten »Schwarzwald'schen Schulanstalten«. Schönberg, der keine Musikhochschule besucht hatte, wurde zu einem herausragenden Lehrer seiner Zeit. Gerade sein autodidaktisches Lernen machte ihn unabhängig in seinen musikalischen und pädagogischen Urteilen. Im Vorwort seines Buches »Harmonielehre« schrieb er: »Hätte ich ihnen auch bloß das gesagt, was ich weiß, dann wüßten sie nur das und nicht mehr. Aber sie wissen, worauf es ankommt: aufs Suchen!« Zu seinen Schülern gehörten unter anderem Alban Berg, Anton Webern und Hanns Eisler. Die Neue Wiener Schule, die Schönberg symbolisierte, wurde so zum Inbegriff der musikalischen Moderne.
Vor allem die Jahre von 1907 bis 1913 waren es, mit denen er in die Musikgeschichte einging. Schönberg, der sich zunächst der Spätromantik verbunden fühlte, begann die Fesseln dieser Formensprache zu sprengen, wovon das Erste und Zweite Streichquartett, die Kammersymphonie, der Melodramzyklus »Pierrot lunaire« sowie die Bühnenwerke »Erwartung« und »Die glückliche Hand« zeugen. Doch die Aufführungen seiner Werke endeten oftmals in Skandalen, was ihn zeitweilig zum Rückzug von den großen Wiener Häusern und zur Gründung des legendären »Verein für musikalische Privataufführungen« bewegte.
Von 1915 bis 1918 leistete Schönberg mit Unterbrechungen Kriegsdienst. Das Kriegsende und die damit verbundene Zerschlagung der k.u.k. Monarchie führten zu einem raschen Aufschwung des in Österreich ohnehin sehr virulenten Antisemitismus, den auch der mit seiner Familie 1898 zum Protestantismus konvertierte Jude Schönberg zu spüren bekam. Besonders getroffen wurde der Komponist von der Entwicklung seines Freundes Wassily Kandinsky, der sich 1923 einer antisemitischen Gruppe von Lehrern anschloss, die die Berufung Schönbergs ans Dessauer Bauhaus verhinderten. So schrieb er am 20. April 1923 an Kandinsky: »Was ich im letzten Jahr zu lernen erzwungen wurde, habe ich nun endlich kapiert, und werde es nicht wieder vergessen. Dass ich nämlich kein Deutscher, kein Europäer, ja vielleicht kaum ein Mensch bin sondern, dass ich Jude bin ... Ich habe gehört, dass auch ein Kandinsky in den Handlungen der Juden nur Schlechtes und in ihren schlechten Handlungen nur das Jüdische sieht, und da gebe ich die Hoffnung auf Verständigung auf. Es war ein Traum. Wir sind zweierlei Menschen. Definitiv!«
Im selben Jahr veröffentlichte Schönberg seine »Methode der Komposition mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen«, die als »Zwölftonmusik« in die Geschichte einging. Die Berufung zur Leitung einer Meisterklasse für Komposition an die Preußische Akademie der Künste 1925 in Berlin stellte für Arnold Schönberg einen Höhepunkt äußerer Anerkennung dar. Doch auch hier schlug ihm schon beim Antritt seines Amtes antisemitischer Protest entgegen, der bei ihm zu einer Rückbesinnung auf die eigenen jüdischen Wurzeln und zu verstärktem Engagement für zionistische Gruppen führte. Auch Werke dieser Zeit, wie z.B. die oratorische Oper »Moses und Aron«, zeugen von dieser Hinwendung zur Religiosität. Unmittelbar nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten verließ er Deutschland, um nach einer kurzen Zeit in Paris in die USA ins Exil zu gehen. Nach einigen Jahren großer materieller Schwierigkeiten ließ er sich in Los Angeles nieder und erhielt einen Lehrstuhl an der University of California. In seinem letzten Lebensjahr 1951 wurde er zum Ehrenpräsident der Israelitischen Musikakademie in Jerusalem ernannt.
Kurz nachdem sich Schönberg vor den Nazis in Sicherheit gebracht hatte, begann in Deutschland die systematische »Ausmerzung der jüdisch-bolschewistischen Kultur«. Neben der Drangsalierung jüdischer Künstler bis hin zur physischen Vernichtung sollten auch alle Spuren jüdischer Kultur vernichtet werden. Die eigens eingerichtete Reichsmusikkammer klassifizierte auch die Zwölftonmusik als »entartet« und »gegen die deutsche Kultur gerichtet«. Nach dem Vorbild der Bücherverbrennungen und der Ausstellung »Entartete Kunst« veranstaltete das Reichspropagandaministerium vom 22.-29. Mai 1938 in Düsseldorf auch eine Ausstellung mit dem Titel »Entartete Musik«. Unter den verfemten Künstlern fanden sich außer Schönberg Komponisten wie Paul Hindemith, Hanns Eisler, Kurt Weill, Paul Dessau, Anton Webern, Alban Berg, Leo Fall, Paul Abraham und Victor Hollaender. Andere machten sich zu willigen Helfern der Nazis. Schönbergs früherer Freund und Akademie-Kollege Richard Strauss hatte eigens für eine »Kulturpolitische Kundgebung« zur Eröffnung der Ausstellung, auf der Propagandaminister Goebbels eine Rede hielt, ein »Festliches Vorspiel« komponiert, das er auch selbst dirigierte. Verantwortlich für die Ausstellung waren u.a. die Generalmusikdirektoren Paul Sixt und Otto zur Nedden. Keiner von ihnen wurde nach dem Ende der Nazi-Herrschaft zur Rechenschaft gezogen, im Gegenteil: Sixt wurde bereits kurz nach dem Krieg Generalmusikdirektor in Detmold und zur Nedden Professor für Theaterwissenschaften in Köln.
Auch nach 45 wurde die Auseinandersetzung um Schönberg und die Zwölftonmusik nicht selten von antisemitischen Stereotypen überlagert. So verurteilte der sowjetische Komponistenverband auf Weisung Stalins entsprechende Strömungen als »Kosmopolitentum«. Es sollte bis weit in die 60er Jahre dauern, bis Schönberg allgemein in den Olymp der »klassischen Musik« aufgenommen und gebührend aufgeführt wurde. Doch bis heute bemüht man sich dabei nicht selten, die politisch-historische Dimension seines Lebenswerkes auszublenden.
Immerhin: Schönbergs radikaler Ansatz, die Sprengung der klassischen Tonalität, beeinflusste maßgeblich nachfolgende Generationen, von Maurizio Kagel über Karl-Heinz Stockhausen und Hans Werner Henze bis zu Nachwuchskomponisten wie Christian Schmidt. Die weltweite Flut von Veranstaltungen im Jahr seines 50. Todestages wird mit Sicherheit dazu beitragen, Schönberg und seine Schüler aus der Exotenecke der Atonalität mehr ins Zentrum der musikalischen Rezeption zu holen, wo sie auch hingehören.
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