Weltsozialforum verschafft im bunten Dakar den Stimmlosen Gehör

11. Weltsozialforum in Senegal: Alternative Stimmen melden sich zu Wort

  • Odile Jolys, Dakar
  • Lesedauer: 4 Min.
Zum Auftakt des 11. Weltsozialforums in Dakar sind am Sonntag zehntausende Menschen zu einem Protestmarsch zusammengekommen. Die Teilnehmer des sechstägigen Treffens wollen in der senegalesischen Hauptstadt über Alternativen zum herrschenden Weltwirtschaftssystem beraten und sich für eine gerechtere Verteilung der Ressourcen der Erde einsetzen.

Dakar ist auf einmal viel bunter. Und die Bewohner der Hauptstadt Senegals gucken erstaunt zu. Rund 60 000 Teilnehmer des Weltsozialforums sind am Sonntag durch die Innenstadt gezogen. Sie waren alle pünktlich zum Auftakt da, ob per Flugzeug, Karawane oder wie eine Gruppe von Italienern mit Fahrrädern. »Ich bin tief berührt«, sagte der 27-jährige Momar Faye, der am Straßenrand zuschaut. »Es ist unglaublich, das ist das erste Mal, dass so etwas passiert«, erklärt er. Dass Leute aus der ganzen Welt nach Dakar gekommen sind, um für eine freie und gerechte Welt zu demonstrieren, nahmen viele Zuschauer mit Enthusiasmus auf.

Die Botschaft habe er verstanden, sagt Momar. Dass die Welt sich ändern soll, davon scheinen sowieso viele Einwohner Dakars überzeugt zu sein. Sie warten mit Ungeduld auf die Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr, um ihren alten Präsidenten Abdoulaye Wade und seine Partei abzuwählen. Fehlende Arbeitsplätze, Stromausfälle und hohe Lebenshaltungskosten, seien es Nahrungsmittel oder Wohnungsmieten, sind in Dakar die Hauptursachen für den Ärger der Menschen.

Mit viel Musik begleitet, marschierten die unterschiedlichsten Aktivistengruppen durch die Stadt: So etwa die lokale Protestgruppe des Viertels NGagne Diaw de Thiaroye sur Mer. In diesem Vorort von Dakar haben illegale Blei-Deponien seit 2008 zum Tod mehrerer Kinder geführt. »Wir profitieren von der Öffentlichkeit des Weltsozialforums, um auf die Regierung Druck auszuüben, damit endlich etwas geschieht«, erklärt eine der Aktivisten. Daneben gibt es aber auch Organisation wie das Netzwerk Attac, die mit der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise neue Kraft geschöpft haben. »Noch nie hatten wir so viele Anfragen beim Fernsehen und in der Presse, um unsere Standpunkte zu erläutern«, freut sich ein Attac-Mitglied aus Frankreich.

Mehrheitlich kommen die Teilnehmer des ersten Weltsozialforums in Westafrika aus Senegal und dem Rest des afrikanischen Kontinents. Mit ihren verschiedenen Anliegen spiegeln sie die Probleme Afrikas wider. Die »Bewegung der Stimmenlosen« aus Burkina Faso, von jungen Leute gegründet, verlangt zum Beispiel einen Macht- und Generationswechsel in ihrem armen Land. »Seit wir geboren sind, sitzt Blaise Compaoré an der Macht«, seufzt der 22-jährige Ismael, »und es wird immer schwieriger in Burkina Faso auf die Straße zu gehen und zu protestieren.« Zudem beklagt er, dass die Älteren alle Führungsstellen im Land besetzen und den Aufstieg der Jüngeren verhindern.

Andere Organisationen rufen für eine Landwirtschaft ohne Genmanipulationen auf, für eine umweltbewusste Fischerei und eine andere europäische Handelspolitik gegenüber Afrika.

»Guinea ist zurück«, stand auf den Transparenten verschiedener Organisationen der Zivilgesellschaft von Guinea. Dort haben gerade die ersten demokratischen Wahlen des Landes stattgefunden. Euphorisch erklären sie, dass jetzt endlich die Entwicklung bergauf gehen kann. Nun skandieren sie ihre Solidarität mit dem Volk in Ägypten. Und mit dem in Côte d'Ivoire, einem Land, das in einer explosiven politischen Krise steckt.

Mehr Gleichberechtigung fordert ein Kollektiv von Frauenorganisationen aus Gambia, Uganda und Südafrika. »Frauen können kein Land erwerben und werden bei der Erbschaft benachteiligt«, sagt die junge Jalika Keita aus Gambia. »Der Knackpunkt ist nicht unsere Verfassung, sondern unsere Tradition.« Sie kämpft, damit es sich ändert. Auch der senegalische Makébé Sarr bemüht sich mit seiner Organisation der Straßenverkäufer um ein in Afrika weit verbreitetes Problem: Es geht ihm darum, Rechte für die Arbeiter in den illegalen Sektoren zu erstreiten, damit sie Zugang zu Sozialversicherungen oder auch Kredite bekommen können.

Kaum vertreten sind die Organisationen von Lesben, Schwulen und Transsexuellen. In Senegal ist Homosexualität per Gesetz verboten. Das macht die Präsenz vor Ort der bekannten Organisation Equality aus Südafrika um so bedeutender. Phuma Mtetwa erklärt, dass sie mit ihrer Präsenz im muslimischen Senegal demonstrieren wollen, wie normal Homosexualität ist. Auch wollen sie Homosexuelle zum Coming Out ermutigen.

Und schließlich treten auch Organisationen auf, die die Lösung für die langjährigen Konfliktherde Afrikas fordern: Etwa in der Casamance, wo immer noch Unsicherheit herrscht und Banden die Bevölkerung ausplündern. Seit 1982 verlangen Rebellen ihre Unabhängigkeit von Senegal.

Das Weltsozialforum ist auch der Ort der Auseinandersetzungen etwa zwischen der sahrauischen Bewegung Polisario, die seit Mitte der 1970er Jahre für die Unabhängigkeit der Westsahara kämpft, und marokkanischen Organisationen, die dagegen sind.

Der Tag klang mit einer Rede von Evo Morales aus. Verglichen wurde der Präsident Boliviens in der Vorstellung mit den großen Revolutionären Afrikas, wie Patrice Lumumba und Thomas Sankara, was zur Begeisterung der Menge auf dem Unigelände führte. »Der Kapitalismus ringt gegen den Niedergang«, sagte Morales. »Nach Lateinamerika erheben sich nun viele Völker, so in den arabischen Ländern und wo anders in Afrika.« Sie seien nicht aufzuhalten. »Das Volk Ägypten steht gegen den US-amerikanischen Imperialismus auf«, sagte er weiter. Dieser sei auch der Hauptfeind in Lateinamerika. Er rief die Völker Afrikas auf, gegen den europäischen Imperialismus zu kämpfen. Ein Thema, dass die kommenden Tage vertieft werden dürfte.

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