Die Erde birgt viele Geheimnisse
Archäologen finden in Haldensleben Spuren von »Industrie« der Bronzezeit
Haldensleben (dpa/ND). Bevor im Haldenslebener Südhafen neue Industriehallen gebaut werden dürfen, kommen Männer und Frauen in gelben Gummistiefeln. Sie packen Vermessungsgeräte und Laptops aus, stecken Markierungsstäbe in den Boden und graben los. Denn nur wenige Zentimeter unter den Äckern und Wiesen von Haldensleben liegen archäologische Schätze verborgen. Metallteile, Keramikscherben und Holzpfosten belegen: Schon seit vielen tausend Jahren siedeln Menschen in diesem Urstromtal, durch das sich heute der Mittellandkanal zieht.
Stolz hält Susanne Friederich vom Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie eine Form aus Sandstein in die Höhe. »Hier wurde das Objekt eingemeißelt, das gegossen werden sollte: eine bronzene Sichel.« Der unscheinbare Stein ist für Friederich der Beweis dafür, dass in der späten Bronzezeit in Haldensleben Metall verarbeitet wurde.
Die Gussform ist nicht der erste bedeutende Fund am Südhafen. Bereits vor zwei Jahren, als der Hafen am Mittellandkanal ausgebaut wurde, stießen die Archäologen auf jahrtausendealte Gräber der Schönfelder Kultur. Im Juli vergangenen Jahres fanden sie ein reiches Urnengrab aus der römischen Kaiserzeit – eine Frau aus der germanischen Oberschicht wurde hier mit ihrem Gewand inklusive Gold- und Silberschmuck bestattet. Nun gelang der Nachweis, dass hier nicht nur Friedhöfe lagen, sondern auch eine wichtige Siedlung stand.
Susanne Friederich kann anhand von kleinen Scherben und Verfärbungen in der Erde erzählen, wie die Menschen damals gelebt haben: Mit kleinen Beilen schlugen sie zunächst Lichtungen in den Wald, der damals noch das ganze Land überzog. Dort ließen sie sich nieder, bestellten Getreide (Fundstücke: Metallsicheln für die Ernte und Keramikgefäße zur Aufbewahrung) und betrieben Milchwirtschaft (Funde: Siebgefäße zur Herstellung von Quark und Käse). Mitten durch das Dorf zog sich laut Friederich ein dicker, hoher Zaun – heute sind nur noch dunkle Flecken übrig, wo einst die Baumstämme in die Erde gerammt wurden. Wahrscheinlich trennte diese Palisade das Handwerksviertel vom Wohnviertel, vermutet Friederich. Das sei sehr ungewöhnlich. Oft habe ein kleines Gewässer verschiedene Teile eines Dorfes getrennt, etwa zum Schutz vor Bränden, die leicht in den heißen Öfen der Metallgießer ausbrechen konnten. Aber ein Holzzaun diene weder als Brandschutz noch als Schutz vor Wölfen oder Angreifern. Eines aber sei sicher: Solch eine mindestens 220 Meter lange Palisade konnte nur gemeinsam errichtet werden.
Mindestens zwanzig Langhäuser standen in der Siedlung, in denen jeweils etwa zehn Menschen gelebt haben dürften. Wie groß das Dorf war, können die Archäologen noch nicht sagen, denn an keiner Seite des Grabungsfeldes haben sie bisher das Ende der Siedlung erreicht. Es kann also weiter gegraben und noch viel gefunden werden.
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