Bauwerke und Bastarde

Agathe Snow wirbelt in der Deutschen Guggenheim die globale Kultur durcheinander

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 3 Min.
»Arc de Triomphe« von Agathe Snow
»Arc de Triomphe« von Agathe Snow

Der kühle Raum der Deutschen Guggenheim wurde in ein überdimensionales Spielzimmer verwandelt. Mit Fell überzogene Schaumstofffiguren in Kindergröße sind auf dem Boden verteilt. Ein großes Flugzeugmodell hängt an der Decke. Aus Profanmaterialien wie Schaumstoff, Pappe und Textil gestaltete Dubletten von architektonischen Markenzeichen wie dem Brandenburger Tor, der Freiheitsstatue und dem Eiffelturm ragen weit über die Köpfe der Besucher.

Mitten in diesem wilden Durcheinander der Farben, Formen und Materialien wuseln Gruppen von Kindern herum, die von ihren erwachsenen Begleitern dazu angehalten werden, Ähnlichkeiten zwischen den einzelnen Objekten herauszufinden und sie zu neuen Konstellationen zu arrangieren. Die Kinder kommen begeistert der Aufforderung nach – und die erwachsenen Ausstellungsbesucher schwanken, ob sie sich mehr an den Objekten oder am Tun der Kleinen ergötzen sollen.

Schöpferin dieses interaktiven Universums ist die korsische Künstlerin Agathe Snow. Die einst mit dem mittlerweile verstorbenen New Yorker Kunstrebellen Dash Snow verheiratete und selbst mit ironischen Videoarbeiten und Installationen hervorgetretene Künstlerin wurde von der Deutschen Guggenheim beauftragt, Denkmäler, Wahrzeichen und andere historische Stätten experimentell zu bearbeiten und neuen Aneignungsformen zu unterziehen. Das gelingt ihr auf eine groteske, an die Einverleibungspraktiken eines Pere Ubu erinnernde Art und Weise.

Objekte – in der Form den Megalithen von Stonehenge nachempfunden – sind mit Fell überzogen und ähneln so Plüschtieren. Von den Kindern werden sie hin und her geschoben und somit spielerisch zu neuen Kultorten organisiert. Die New Yorker Freiheitsstatue ist aus grünem Stoff gefertigt und hängt in einem strahlenförmigen und silbrig glänzenden Korsett. Um sie herum ragen vier Minaretttürme auf und versöhnen so das symbolkräftigste Bauwerk der westlichen Welt mit den Monumenten des von seinen Gegnern als fortschritts- und freiheitsfeindlich denunzierten Islam. Zum profanen Dienstleistungsobjekt wird hingegen der Eiffelturm degradiert. Riesige Zigaretten sind in das Gerüst gesteckt und verwandeln die elegante Stahlkonstruktion in einen Kippenhalter.

Auch eine lokale Diskussion um öffentlichen Raum und Symbole der Stadt greift die in New York lebende Künstlerin auf: Über einer Darstellung des Brandenburger Tores bringt sie den sich wölbenden Schriftzug einer globalen Schnellimbisskette an. Offen bleibt, ob sie dieser Vermischung von kommerzieller Werbung und kulturhistorischer Aufladung kritisch gegenüber steht, diese Bastardisierung einfach nur konstatiert oder sie als neue Form der Montage von Archetypen sogar begrüßt.

Solch struktureller Offenheit hat Snow sicherlich den Zugang zu den Hallen der Deutschen Guggenheim zu verdanken. Sie trägt eine dort bisher nicht erlebte Vitalität herein. Bereits im Vorraum lässt sich die Veränderung feststellen: Die von den Kindern zurück gelassenen Anoraks und Rucksäcke, die in allen Farben leuchten, wirken wie ein Teil von Snows Installation.

Das Aufsichtspersonal ist dabei besonders herausgefordert, lässt aber trotz seiner dunklen und streng geschnittenen Dienstkleidung mehr menschliche Regungen erkennen als in den Fällen, in denen nur darauf zu achten ist, dass die Besucher den Abstand zur edlen Leinwand einhalten. Der Einbruch der verspielten Seite des Lebens in diesen von einer Bank zur Verfügung gestellten Kunsttempel ist so nachdrücklich, dass man dem Beispiel von Snows Verwandlung weitere folgen lassen und die Umwandlung von Finanzplätzen in unschuldige Spielplätze generell anregen möchte – gerade auch angesichts der die Finanzkrise nach sich ziehenden Exzesse zahlreicher Bankmanager.

Snows Ausstellung »All Access World« schleust als eine Art trojanische Pferd aber auch die Ahnung davon ein, dass ein simpler Zugriff auf alle Objekte der Welt die Unterschiede zwischen ihnen nivelliert und einem letztlich gleichförmigen Konsum den Weg bahnt. Insofern hat sich die 34-jährige Künstlerin noch Restspuren ihrer rebellischen Zeit im New Yorker Künstler-Underground bewahrt.

Bis 30. März, Deutsche Guggenheim, Unter den Linden 13/15, Täglich 10-20 Uhr, Eintritt 3 / 4 Euro, montags frei.

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