Kommt die Asse an den Bodden?

1800 Demonstranten läuteten am Samstag in Greifswald neue Castorproteste ein

  • Velten Schäfer, Greifswald
  • Lesedauer: 3 Min.
Greifswald wartet auf den Castor – zum zweiten Mal innerhalb von nur acht Wochen. Diesmal sei die Fracht so gefährlich wie die halbe Tschernobyl-Explosion, behaupten die Atomkraftgegner.

»Locomotive Breath« spielt die Band auf dem Greifswalder Markt, und ein wenig will es scheinen, als spüre der Nordosten tatsächlich den Hauch der Lokomotive aus dem Song von Jethro Tull. Als sich der Markt in Greifswald am Samstag zu füllen beginnt, sieht man Atomgegner-Wimpel zunehmend auf landestypischen Utensilien wie Angelruten – und der junge Mann, der ein »Atomausstieg Jetzt«-Banner zwischen zwei schweren Agrarzugmaschinen mit Ostvorpommern-Kennzeichen aufspannt, entspricht auch so manchem MV-Klischee: Bomberjacke, breitschultrig, raspelkurzes Haar.

Mit 1500 Teilnehmern hatten die Anmelder um die Greifswalder Linkspartei-Politikerin Mignon Schwenke gerechnet – und mindestens so viele ziehen dann auch durch die Greifswalder Innenstadt. Auf Veranstalterseite war später sehr zufrieden von etwa 1800 Demonstranten die Rede, die 1000 Demonstranten, die dagegen die Polizei gezählt hatte, scheinen Augenzeugen deutlich zu niedrig gegriffen. »Für mitten in den Semesterferien ist das nicht schlecht«, meint am Rande ein Student aus Greifswald, und gibt zu bedenken, dass mit dem umkämpften Neonaziaufmarsch in Dresden erhebliche Konkurrenz bestehe im »mobilisierbaren Spektrum«.

Organisiert ist in den nächsten Tagen jedenfalls alles wie beim letzten Mal: Im Verlauf der spannenden letzten zwanzig Schienenkilometer zwischen Greifswald und Lubmin sind ein gutes Dutzend Mahnwachen angemeldet – und wieder eine Blockade in Planung. Dass man sich in Greifswald durch die Dezember-Aktionen in der grimmigen Kälte schon einen Namen gemacht habe, beteuert unter großem Beifall ein Gesandter aus Karlsruhe: Als man das im Fernsehen gesehen hatte, habe man nicht zurückstehen wollen. Und nun scheint es, als zöge sich wieder ein ähnliches Wetter zusammen an der Ostseeküste.

Davon aber, heißt es auf der Kundgebung, werde man sich nicht abschrecken lassen. Und die Gefahr, die nun in Gestalt der verfestigten Atomsuppe aus Salpetersäure, Uran, Plutonium, Cäsium und einigem mehr auf Greifswald zurollt, ist zumindest aus Sicht des Atombündnisses Nord-Ost auch wahrhaft spektakulär: Das »radioaktive Potenzial von einer halben Tschernobyl-Explosion« stecke in den Fässern, so ein Redner der Gruppe; es gebe auch keinen Katastrophenplan für den Transport und im Zwischenlager keine Heiße Zelle für etwaige Reparaturen an den Behältern. Was vielen Demonstranten am Samstag aber die größten Sorgen machte, ist die lecke Atomlagerstätte in der niedersächsischen Asse bei Braunschweig: Als einziges bundeseigenes Zwischenlager könne Lubmin dafür in Frage kommen, den dort zu bergenden Müll aufzunehmen – wenn es sich denn tatsächlich um schwach- und mittelaktives Material handelt.

Eine Anlage zum Sortieren in »leicht« und »mittel« gebe es in Lubmin. Und die Energiewerke Nord, die das Lager betreiben, haben tatsächlich eine Entfristung der sogenannten Pufferlagerung von leicht und mittelschwer kontaminierten Material beantragt. Wie nachhaltig die Anti-Atombewegung am Bodden tatsächlich angekommen ist, werden wohl die kommenden Tage zeigen. Und auch, ob es zwischen Polizei und Demonstranten bei Differenzen um die Teilnehmerzahlen bleibt – oder ob eine ungemütlichere Dynamik aufkommt. Als Anzeichen des Letzteren lässt sich der Vorfall deuten, der bereits am Freitag in Brandenburg für Aufregung sorgte: Bei Oranienburg wurden zwei Sprengsätze an Gleisanlagen gefunden. Eine Anruferin hatten aber rechtzeitig per Telefon vorgewarnt.

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