Neues Bürgerbegehren gegen Stuttgart 21
Aktionsbündnis hält Finanzierung für verfassungswidrig, auf gestriger Montagsdemo begann Unterschriftensammlung
Mit einem neuen Bürgerbegehren hofft das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 das Projekt zu stoppen. Ein Kreis von Juristen ist zu dem Schluss gekommen, dass die Finanzierungsbeteiligung der Stadt Stuttgart verfassungswidrig ist, wurde gestern in Stuttgart verkündet. Ab sofort werden Unterschriften gesammelt, um die Stadt zu einem Ausstieg aus dem Finanzierungsvertrag zu zwingen.
Der Bau von Eisenbahninfrastruktur ist grundsätzlich Sache des Bundes und deshalb ist der auch verpflichtet, Bahn-Bauten zu bezahlen. Und zwar alleine. In Artikel 104 des Grundgesetzes ist geregelt, dass Mischfinanzierungen nicht erlaubt sind. Im Finanzierungsvertrag zwischen Bahn, Land und Stadt hat Stuttgart sich jedoch verpflichtet, bis zu 291,8 Millionen Euro zu zahlen. Mit dem Grundgesetzartikel solle verhindert werden, dass reiche Länder die Bahn mit hohen Zuschüssen anlocken und ärmere Länder in die Röhre gucken, erklärte der Stuttgarter Rechtsanwalt Bernhard Ludwig, Mitglied des Arbeitskreises Juristen, zu Stuttgart 21.
Bei ihrer Einschätzung stützen die Juristen sich auf ein Gutachten des Verfassungsrechtlers Professor Hans Meyer von der Humboldt-Universität Berlin. Der hatte im November vorigen Jahres im Auftrag der baden-württembergischen Grünen die Verfassungsmäßigkeit der Finanzierung von S21 geprüft und war zu dem Schluss gekommen: Das Land darf aufgrund des Artikels 104 nicht mitfinanzieren. Als Fraktion konnten die Grünen keine rechtlichen Schritte einleiten. Ihr Vorsitzender Winfried Kretschmann kündigte damals an, sollten die Grünen nach der Landtagswahl am 27. März das Sagen haben, werde man das Geld nicht zahlen beziehungsweise zurückfordern. Die CDU-FDP-Landesregierung konterte mit einem eigenen Gutachten, das die Finanzierung verfassungsrechtlich absegnet. Das Aktionsbündnis gegen S21 weiß das natürlich. Rechtsanwalt Ludwig: »Wir haben beide Gutachten ausgiebig geprüft und sind der Ansicht, Meyers Expertise ist schlagend.«
Vor vier Jahren waren S-21-Gegner mit einem Bürgerbegehren bereits gescheitert. Man sammelte mehr als 60 000 Unterschriften. Doch die Stadt gewann vor dem Verwaltungsgericht – wegen formal falscher Fragestellung war das Begehren nicht zulässig. Selbstverständlich rechne man auch diesmal damit, dass die Stadt alles tun werde, um einen Bürgerentscheid zu verhindern, sagte Ludwig. Dann müsse man vor das Verwaltungsgericht ziehen. Zwar richtet sich das neue Bürgerbegehren nur gegen die städtische Mitfinanzierung, aber wenn die gegen das Grundgesetz verstoße, dann sei klar, dass auch das Land verfassungsfeindlich gehandelt habe.
Stuttgarts OB Wolfgang Schuster (CDU) bezeichnete das neue Bürgerbegehren als »Täuschung der Bürger« und betrachtet die Beteiligung der Stadt an S21 nicht als verfassungswidrig. Und weil Wahlkampf ist, gab er noch den Grünen und der Linkspartei eine mit. Die führten das Aktionsbündnis an, um »die Bevölkerung zu verunsichern« und verhielten sich »höchst undemokratisch«.
Auftakt zur Unterschriftensammlung war die gestrige 63. Montagsdemo. 20 000 Unterzeichner sind nötig, um einen Bürgerentscheid zu starten. Dann müssten 100 000 Menschen in der Stadt mit 560 000 Einwohnern für den Finanzierungsausstieg stimmen.
Wir behalten den Überblick!
Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!