Prozess im Schwurgerichtssaal 600
In Nürnberg steht ein Neonazi vor Gericht – an historischem Ort
Ein organisierter Neonazi steht ab Donnerstag wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung im Nürnberger Schwurgerichtssaal 600 vor Gericht. Im April letzten Jahres schlug er einen jungen Mann ins Koma. Der Auslöser der Tat ist nach wie vor unklar. Die Freundin des 24-jährigen Täters Peter R. behauptete, der 17-jährige Antifaschist habe sie in der U-Bahn als »Thor-Steinar-Schlampe« bezeichnet, weil sie eine »Thor-Stei- nar«-Tasche trug. Zeugen hörten lediglich »Thor Steinar«. Aufgrund dessen und »aus Hass auf die linke Szene«, so die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth, schlug der vorbestrafte Neonazi R. zu.
Tritte ins Gesicht
Der angegriffene Deutschkurde ging im Laufe der Schlägerei zu Boden. Trotzdem trat ihm der Kampfsportler R. »zielgerichtet und mit großer Wucht« mehrmals ins Gesicht. Erst ein beherzter Passant hielt ihn davon ab, sein Gegenüber weiter zu malträtieren. Mit blutender Nase taumelte der Antifaschist auf den Bahnsteig, erlitt einen Herz-Kreislauf-Stillstand, musste mehrfach wiederbelebt werden. Tags darauf stellte sich der Täter. Der Antifaschist lag Wochen auf der Intensivstation, musste sich in einer Reha-Klinik behandeln lassen.
Bediye, Sprecherin vom »Solikomitee gegen Rechts«, das sich nach der Tat gründete, kritisierte im Vorfeld des Prozesses, dass die Polizei den Namen des Täters und den politischen Hintergrund der Tat geheim hielt, bis der öffentliche Druck zu groß wurde. Vermutlich auch, weil mit Blick auf den 1. Mai eine eskalierende Demonstration befürchtet wurde. Denn bei R. handelt es sich um einen vorbestraften, im »Freien Netz Süd« organisierten Neonazi.
Aufruf zur Teilnahme
Nürnbergs Oberbürgermeister Ulrich Maly (SPD) wie auch der Nürnberger DGB-Chef Stefan Doll kritisierten die Informationspolitik. Die Staatsanwaltschaft legitimierte die Verfahrensweise mit laufenden Ermittlungen. Später relativierte die Polizei die Tat, sprach von einem linksextremen Opfer und einem rechtsextremen Täter. Und sie gab lediglich die Aussagen des Täters und seiner Freundin an die Presse weiter, worüber die Familie des Antifaschisten »sehr empört war«.
Der Prozess findet an historischer Stelle statt: Im Schwurgerichtssaal 600, in dem sich deutsche Kriegsverbrecher nach dem Zweiten Weltkrieg verantworten mussten. Konstantin Wecker und andere Menschen rufen dazu auf, durch die »Anwesenheit im Gerichtssaal das Opfer sowie die ZeugInnen vor der Gegenwart von Neonazis im Gerichtssaal schützen. Der Prozess soll ohne Neonazi-Bedrohungen gegen Andersdenkende, gegen ZeugInnen sowie vor allem gegen das Opfer und dessen Angehörige im Gerichtssaal vonstattengehen.« In der Vergangenheit hatten Aktivisten der Anti-Antifa solche Prozesse genutzt, um Informationen über politische Gegner zu sammeln und versucht, diese im Gerichtssaal einzuschüchtern.
Außerdem will das Solikomitee auf den politischen Hintergrund der Tat aufmerksam machen. Es strebt ein Verbot des militanten »Freien Netz Süd« an, in dem R. organisiert ist. Mehrere Verbotsverfahren wurden laut Bediye beantragt, die Staatsanwaltschaft ist aber noch nicht tätig geworden.
Stadt nicht zuständig
Die Linke Liste Nürnberg hat einen Dringlichkeitsantrag beim Oberbürgermeister gestellt. Darin wird unter anderem gefordert, »Personen, welche rechtsextremen Organisationen angehören, der neonazistischen Szene zuzuordnen sind, (…) den Zutritt zur Verhandlung zu verwehren«. Der Antrag wurde allerdings laut der Stadtratsabgeordneten Marion Padua (LINKE) nicht behandelt, »weil die Stadt Nürnberg nicht für das Gerichtsgebäude zuständig ist. Wir setzen darauf, dass möglichst viele Menschen erscheinen und alle Plätze am Donnerstagmorgen besetzen.«
Weitere Informationen unter www.soli-komitee.de
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