Statt Flüchtlingshilfe – Terrorangst
Klare Ansage auf EU-Polizeikongress: Deutschland nimmt Italien keine Asylbewerber ab
Berlin, Alexanderplatz – das Congress Center bot ein Abbild von EU-Europa. Massiv von Polizei abgeschirmt, treffen sich 1400 Experten aus 60 Nationen zum zweitägigen, traditionell vom »Behörden-Spiegel« veranstalteten Europäischen Polizeikongress.
Angesichts tausender Nordafrikaner, die unter Lebensgefahr übers Mittelmeer flüchten, ist die Debatte über die weitere Ausgestaltung eines einheitlichen EU-Asylrechts und eine mögliche Verteilung der Hilfesuchenden auf mehrere EU-Länder neu entfacht worden. Politiker von SPD, LINKEN und Grünen plädierten auch am Rande des Kongresses dafür, einige der »Italien-Flüchtlinge« nach Deutschland weiterzuleiten.
Diesem Vorschlag, der sowohl gegenüber den Flüchtlingen als auch gegenüber Rom Solidarität signalisiert, erteilte der Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Ole Schröder, gestern eine klare Absage. Selbst fadenscheinigste Argumente zog er heran. So entstehe bei einer Aufteilung von Flüchtlingen auf EU-Staaten die Frage, nach welchen Kriterien dies geschehen solle: Nach Einwohnerzahl oder Wirtschaftskraft? Orientiere man sich an früheren Aufnahmezahlen, »hätte Deutschland keine Veranlassung, Flüchtlinge aus anderen Ländern aufzunehmen«, sagte Schröder und betonte: »Das zeigt, dass ein solcher Mechanismus keinen Sinn macht.«
Der getreue Vertreter und CDU-Kollege von Bundesinnenminister Thomas de Maizière meint, man könne nicht davon sprechen, dass die südlichen EU-Länder besonders von Flüchtlingsströmen betroffen seien. Belgien beispielsweise habe 2010 dreimal so viele Asylbewerber aufgenommen wie Italien und zehnmal so viele wie Spanien. Schweden habe 31 870 Schutzsuchende zugelassen, Deutschland gab 41 000 und Frankreich 48 000 eine Chance.
Es sei »natürlich in unserem Sinne und im Sinne der Asylberechtigten, dass das Asylrecht nicht missbraucht wird«. Statt wie angekündigt über »Herausforderungen und Chancen« von Migration und Integration zu reden, stellte Schröder eine Palette von EU-vernetzten Abwehrmechanismen vor, die derzeit vervollkommnet werden. Dazu gehört eine Fingerabdruckdatei gegen »Asylshopping«. Schröder lobte das Visainformationssystem, sah von der europäischen Grenzschutzagentur FRONTEX initiierte Fortschritte bei der Sicherung der griechisch-türkischen Grenze und verkaufte Anti-Pirateneinsätze als eine Art Entwicklungshilfe.
Sodann zog Schröder die »Terror-Karte« – natürlich ohne »Zuwanderer und ihre Nachfahren unter einen Generalverdacht« zu stellen. Wohl aber handele es sich beim islamistischen Terrorismus »um ein mit Migration verbundenes Phänomen«. Rund 220 mutmaßliche Islamisten »aus Deutschland oder mit Deutschlandbezug« hätten Terrorcamps am Hindukusch besucht. Rund die Hälfte sei zurück in der Bundesrepublik. Bei 70 gäbe es Hinweise auf eine paramilitärische Ausbildung. Ein Migrationshintergrund und die häufig vorhandene doppelte Staatsbürgerschaft erleichtere es radikalisierten Anhängern, über die Grenzen zu reisen und sich den Ermittlern zu entziehen. Wer weitere Gründe für verschärfte Sicherheitsmaßnahmen sucht, mag die zahlreichen Stände der Industrie, die den Kongress sponsert, als Hinweis begreifen.
Unterdessen bereitet die EU eine FRONTEX-Mittelmeer-Task-Force vor. Im Büro von EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström wird angeblich auch über die Anforderung deutscher Polizisten gesprochen. Außerdem werde die Zahlung einer Nothilfe an Italien geprüft. Rom hatte die EU am Montag um Hilfe gebeten, nachdem mehr als 5000 tunesische Bootsflüchtlinge auf Lampedusa gelandet waren.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.