Hoch droben auf dem Holzweg
Ein Spaziergang durch die Baumwipfel im Nationalpark Bayerischer Wald
Der Baum darf in gewisser Weise als Ebenbild eines Hauses gelten. Denn er verfügt über mehrere Etagen, in denen sich ganz unterschiedliche Bewohner angesiedelt haben. Im Keller etwa, also im dunklen feuchten Wurzelraum, tummeln sich Springschwänze und allerlei Gewürm, die von ebendort herumwühlenden Maulwürfen und Spitzmäusen gefressen werden. Modderiges Laub und verrottetes Holz prägen das Erdgeschoss. Der beschattete Waldboden zieht Feuchtigkeit liebende Schnecken und Käfer an – und ebenso auch Räuber wie die Singdrossel.
Diese und viele andere Geheimnisse des Waldes werden auf farbigen und bebilderten Tafeln der sechs didaktischen Stationen ausgeplaudert. Sie befinden sich hoch droben nahe den Baumkronen. Hier führt ein hölzerner zwischen 8 und 25 Meter hoher Weg, beidseits von Geländern gesäumt und auf 27 dicke Stelzen gestützt, durch unberührte Natur am südöstlichen Rande des Nationalparkes Bayerischer Wald – der Baumwipfelpfad von Neuschönau.
Nach Angaben von Rainer Laures-Hennes von der Leitung des 3,2 Millionen Euro teuren Projektes handelt es sich mit 1320 Metern um den weltweit längsten Pfad dieser Art. Die Philosophie, die dem Bauwerk zugrunde liege, bestehe darin, den Besuchern eine ungewohnte Blickweise auf und in den Wald nahezubringen und dabei Wissen über all das zu vermitteln, was auf dem und um den Baum herum kreucht und fleucht, über Lebensformen, die sich dem ersten Blick weitgehend entziehen.
Die seltene Perspektive führe dabei durchaus zu überraschenden Einblicken, wie auf den Tafeln anschaulich dargestellt wird. Beispielsweise zur Antwort auf die Frage, warum totes Holz voller Leben ist. Es bleibt im Nationalpark dort, wo es eben ist, und bildet die Lebensgrundlage für etwa 900 Pilz-, 400 Käfer- und 20 Vogelarten. Fällt eine Fichte durch Sturm oder durch Befraß des Borkenkäfers, von denen es europaweit reichlich 150 Arten gibt, so wirkt sich das wundersamerweise nicht zum Schaden der Art aus. »Das dichte Walddach bricht großflächig auf und Fichtensamen keimen massenhaft«, heißt es in luftiger Höhe.
Ein anderes Thema des Lehrpfades stellt die Baumwipfelforschung dar. Sie ist übrigens nicht nur im Regenwald von Interesse, wo sich Affe und Papagei durch die Wipfel hangeln. In Freising etwa und anderswo werden Baukräne genutzt, um Strukturen sowie das Leben von Tieren und Pflanzen zu erforschen – »Ast für Ast, Blatt für Blatt«, wird auf einer der Stationen festgestellt. Am Ende des Rundganges im Dienste des Naturschutzes befindet sich der sogenannte Baumturm. Er reckt sich 44 Meter in den Himmel und beherbergt mittig drei uralte mächtige Tannen – kaum kleiner als das Bauwerk selbst, das in seiner Form ein wenig der Kuppel des Reichstages in Berlin ähnelt. Der spiralförmige Gang mit einem höchstens zwei- bis sechsprozentigen Anstieg führt bis nach oben und lässt, weil barrierefrei, laut Laures-Hennes auch die Fahrt mit Rollstuhl oder Kinderwagen bis fast nach ganz oben zu, von wo man bei entsprechender Wetterlage über den Bayerischen und den Böhmerwald sowie über hunderte Kilometer bis hin zum nördlichen Alpenkamm zu schauen vermag.
Seit ihrer Weihe Anfang September 2009 hatte die Anlage samt Erlebnisstationen – Seil- und Wackelbrücke, Balancierseile und Trapeze – sowie Abenteuerspielplatz und Infozentrum nahezu 500 000 Besucher. »Damit sind bislang unsere Erwartungen erfüllt worden«, sagt Rainer Laures-Hennes.
Weitere Infos: 085 58 97 40 74 oder www.baumwipfelpfad.by
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