Die Ägypter feiern erst Teil eins ihrer Revolution

Hassan Saber: Mit dem Sturz Mubaraks sind Probleme nicht gelöst

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Der Kairoer Dr. Hassan Saber gehört zu den Aktivisten der Kifaya-Bewegung. Bei Kifaya – arabisch soviel wie »Es reicht!« – handelt es sich um einen losen Verbund demokratischer und damit auch linker Kräfte der bisherigen Opposition Ägyptens. Mit Dr. Saber, der vergangene Woche Gast der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin war, sprach Martin Lejeune.
Die Ägypter feiern erst Teil eins ihrer Revolution

ND: Wie würden Sie die Kifaya-Bewegung definieren?
Hassan Saber: Als eine Bewegung, keine Organisation. Sie vereinte verschiedene Richtungen, die ausschließlich das Ziel hatten, Hosni Mubarak als Präsident zu stürzen. Jetzt, wo dieses Ziel erreicht wurde, gibt es Kifaya nicht mehr. Ich bin jetzt damit befasst, eine neue sozialistische Partei zu gründen. Es gab schon einmal eine Linkspartei in Ägypten, gegründet 1976, die uns aber vom Mubarak-Regime gestohlen wurde. Das war die »National-Progressive Sammlungspartei« – eine Partei ähnlich wie die LINKE; also eine Partei, die verschiedene Strömungen vereinte – von Nasseristen bis Marxisten. Nun wollen wir wieder eine solche Partei gründen, um das Volk neu zu organisieren.

Wie soll es weitergehen in Ägypten?
Das Regime ist geschwächt, nur seine Armee funktioniert im Moment. Damit der zurzeit regierende Militärrat versteht, dass er das Volk nicht ausschließen kann von den Entscheidungen über die künftige Entwicklung, haben wir beschlossen, unseren Protest jeden Freitag fortzusetzen.

Es gibt in meinen Augen für die Ägypter noch keinen Grund zu feiern. Der Aufstand ist genauso verlaufen, wie die USA es wollten, um ihre Milliardeninvestitionen in das Regime zu schützen. Mit dem Sturz von Mubarak ist doch kein einziges Problem für uns gelöst.

Man freut sich natürlich über den Sturz Mubaraks als Symbol für den begonnenen Zerfall des Regimes. Es wird Teil eins der Revolution gefeiert. Mubarak stand für Folter, Menschenrechtsverletzungen, Unterdrückung des Volkes, Korruption und .vieles andere. Aber wir dürfen nicht zu viel feiern und müssen uns um Teil zwei der Revolution kümmern.

Gab es denn überhaupt eine Revolution in Ägypten? Eine Revolution ist doch eine grundlegende Umgestaltung der Gesellschaft mit dem Ergebnis der Umwandlung der Produktionsverhältnisse und des Überbaus einer Gesellschaft. Es gab eine Revolte, einen Aufstand.
Natürlich ist es keine soziale Revolution nach der marxistischen Revolutionstheorie. Aber der Sprung von einem Gesicht zu einem anderen ist für Ägypten ein großer politischer Wandel, und die Kommunisten Ägyptens glauben, dass wir eine national-demokratische Revolution brauchen, um zu einer sozialen Revolution zu gelangen.

In der Dritten Welt braucht man zuerst entscheidende Veränderungen im politischen System, um überhaupt die Grundlagen für den politischen Kampf entwickeln zu können. Dessen Ziel kann dann eine soziale Revolution sein. Sowieso müssen wir erst einmal unabhängige Gewerkschaften in Ägypten aufbauen, die zur Zeit Mubaraks verboten waren. Wir haben die Hoffnung, dass diese Phase eine Übergangsperiode für einen tieferen und radikaleren Wandel in Ägypten wird.

Ich gebe Ihnen Recht, dass Ägypten natürlich bis auf weiteres kapitalistisch bleibt. Deshalb ist für mich aktuell die entscheidende Frage, wie sich Ägypten, das ein Lakai der USA ist, von diesen emanzipieren kann.

Worauf kann Ägypten seine Zukunft aufbauen?
Ägypten hat eine Menge Einnahmequellen: den Suezkanal, Öl- und Gasfelder, den Tourismus vor allem an den Pyramiden und am Roten Meer, Landwirtschaft, Baumwollanbau. Wenn wir die Wirtschaft neu ordnen und im Sinne des Volkes verwalten können, das Volksvermögen neu verteilen können, dem Regime also die Kontrolle über den ökonomischen Sektor entreißen können, dann wäre das eine gute Grundlage für eine bessere Zukunft und die Entwicklung hin zu einer gerechteren Gesellschaft.

Wir müssen nur zuerst die Herrschaft der Kleptokratie beenden, die derzeit agierende internationale Mafia besiegen. Ein kleines Beispiel dafür: Ägypten verkauft sein Gas an Israel zu einem Preis, der vier Mal niedriger ist als der Normalpreis. Damit hat das Regime von Mubarak Israel unterstützt. Durch eine bessere Verwaltung der Wirtschaft – in diesem Fall auch einen Verkauf von Rohstoffen zum Marktpreis – kommt eine bessere Zukunft.

Mubarak war Israels »Bitte« nachgekommen, die Blockade des Gaza-Streifens zu unterstützen. Wie hält es Ihre neue sozialistische Partei mit dem Gaza-Streifen?
Zeitungsberichten nach ist die Grenze bereits offen. Natürlich setzen wir uns für eine offene Grenze zu Gaza ein. Die Blockade ist ungerecht und muss beendet werden.

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