Angst vor dem Drogenknast

Bei einer Presserundfahrt zur Umstrukturierung des Gefängnissystems entlädt sich Bürgerwut

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.
Rund 20 Bürger erwarteten die Justizsenatorin auf ihrer Rundfahrt zu den Gefängnissen. dpa / Tim Brakemeier
Rund 20 Bürger erwarteten die Justizsenatorin auf ihrer Rundfahrt zu den Gefängnissen. dpa / Tim Brakemeier

Die Lichtenrader sind in Aufruhr. Die Zeiten der dank Mauer einst friedlichen Abgeschiedenheit im von Einfamilienhäusern geprägten Ortsteil ganz im Süden Berlins sind vorbei. Flugrouten, vierspuriger Ausbau der B 96; so hatten sich die Einwohner die Zukunft nicht vorgestellt. Und nun soll ihnen auch noch ein Drogenknast vor die Tür gestellt werden. Da wundert es nicht, dass sich der Besuch der Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD) am Montag anlässlich einer Pressefahrt herumgesprochen hatte. Rund 20 Demonstranten, meist älteren Semesters, empfangen die Senatorin und ihre Entourage vor dem Tor der Untersuchungshaftanstalt für Jugendliche. Einige haben eher kryptische Schilder mit Aufschriften wie »Der Adel auf Beutezug?« oder »Der grüne Tisch + die Drogen« fabriziert.

Sie protestieren dagegen, dass anstelle der Untersuchungshäftlinge ab Sommer dieses Jahres drogenabhängige Jugendliche und Heranwachsende auf dem Gelände untergebracht werden sollen. Die sind momentan noch im Haus 8 der Jugendstrafanstalt in Plötzensee inhaftiert. Deren Leiter Marius Fiedler verspricht sich durch die räumliche Trennung, die Menge der dort kursierenden Drogen zu reduzieren. »Wir sind in Lichtenrade so gebeutelt«, beklagt sich Anwohner Friedrich Ernst. Nach Schweden will er mit seiner Frau auswandern. »Das sind Menschen, die kommen mit Drogen an. Ich will nicht, dass meine Kinder an der Bushaltestelle damit konfrontiert werden«, erklärt eine Mittsechzigerin, die – wie die meisten Demonstranten – ihren Namen nicht nennen möchte.

»Sie haben falsche Vorstellungen«, beschwichtigt von der Aue. »Wir sind hier gerade wie in Ägypten«, redet sich ein älterer Herr in Rage. Kai Abraham, Leiter des Drogenfachbereichs in Plötzensee, erläutert in ruhigem Ton, was die Menschen tatsächlich erwartet: »Die Insassen kommen körperlich entgiftet in den Bereich. Niemand ist akut drogenabhängig. Von den bis zu 80 Inhaftierten sind fünf bis maximal zehn Freigänger, die mal am Wochenende raus dürfen, um ihre Familie zu besuchen.« Durch Trennscheiben in den Besucherräumen und Fangnetze hinter der Mauer sei die Chance, Drogen einzuschmuggeln, recht gering. Von der Aue bezeichnet es als »abwegig«, dass Leute aus Kreuzberg kämen, um hier auf dem Spielplatz einen Joint zu rauchen. Der Großteil der Demonstranten beruhigt sich. Nur eine Dame wiederholt ohne Unterlass, wie blauäugig die Senatorin sei. »Die schreien im ausländischen Ton ihre Kumpel an. Man kann sonntags nicht auf seiner Terrasse sitzen«, erzählt sie erbost. Damit meint sie die direkt daneben liegende Jugendarrestanstalt Kieferngrund.

Hier gibt es tatsächlich Probleme, weil einige der Arresträume in Richtung der Lützowstraße orientiert sind. Besserung ist aber in Sicht. Paradoxerweise weil für rund sechs Millionen Euro ein Ausbau von 33 auf 61 Plätze vorgesehen ist. »Wir haben eine sehr hohe Zahl an Abweisungen aufgrund mangelnder Kapazitäten. Das konterkariert das pädagogische Konzept einer schnellen Bestrafung«, erläutert Leiter Thomas Hirsch. Dank des Erweiterungsbaus werde die Verwaltung in die an der Flatowstraße liegende ehemalige Villa ziehen und die »durchaus bestehende« Lärmbelästigung der Anwohner deutlich reduziert. In der Bauzeit werden die Arrestanten vorübergehend im Haus 8 in Plötzensee untergebracht.

Der Grund für die Aufregung ist eigentlich ein erfreulicher: Von 2007 bis heute ist die Zahl der Inhaftierten um rund 600 auf etwa 5000 Personen zurückgegangen. Eine große Verbesserung der Haftsituation sei 2013 abzusehen: »Mit Eröffnung der JVA Heidering stehen dort 648 moderne Haftplätze zur Verfügung«, sagt von der Aue.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -