Nach Guttenberg ist vor Guttenberg

Die Koalition kann nach dem Rücktritt des Ministers nicht auf Ruhe hoffen

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Verteidigungsminister Guttenberg ist zurückgetreten, das Kabinett wird umgebildet – doch in den Augen der Opposition ist der Regierung kein Befreiungsschlag geglückt. Zugleich auch das: Noch bevor er richtig weg ist, redet alles schon von Guttenbergs Comeback.

Berlin (dpa/ND). Auch nach dem Rücktritt von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) und der Kabinettsumbildung reißt die Kritik am Krisenmanagement von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nicht ab. Die Opposition schießt scharf, die Doktoranden zeigen sich enttäuscht. Merkel habe in der Plagiatsaffäre »Macht über alles gestellt, anstatt ihrer Pflicht als Kanzlerin nachzukommen«, sagte SPD-Chef Sigmar Gabriel am Mittwoch dem »Tagesspiegel«. Indem sie Guttenberg aus Machtkalkül über das Gesetz gestellt habe, sei sie »im Stadium von Helmut Kohl angekommen«. Die Kritik der Kanzlerin an der Rolle der Opposition in der Affäre wies Gabriel zurück. »Merkel beleidigt damit viele tausende kritische Wissenschaftler«, sagte er. Bei einer Wahlkampfveranstaltung hatte die CDU-Vorsitzende die Opposition scharf angegriffen. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin sieht Merkel und die Union durch die Affäre Guttenberg massiv geschwächt. »Die Kanzlerin war von Guttenbergs Rücktritt völlig überrascht. Sie hat jede Steuerungsmöglichkeit in dieser Krise verloren. Dazu hat sie selbst beigetragen.«

Linksparteichefin Gesine Lötzsch sagte dem Sender n-tv: »Wenn man in der Wissensrepublik Deutschland so tut, als wäre ein Doktortitel, als wäre wissenschaftliche Arbeit etwas, was man gering zu schätzen hat, dann hat man auch diese Wissensrepublik ins Herz getroffen.« Die Doktoranden-Initiative, die mit einem offenen Brief an Merkel zur Plagiats-Affäre für Aufsehen gesorgt hatte, zeigte sich enttäuscht von der Rücktrittsrede des Verteidigungsministers. »In der Rede hat er sich erneut kaum mit seinem eigenen Fehlverhalten beschäftigt.« Merkel solle aufhören, die schwerwiegenden Täuschungen und den Umgang mit ihnen zu verharmlosen und die Konsequenzen für den Wissenschaftsstandort Deutschland sowie die politische Kultur in unserem Land zu leugnen.

»Mensch, macht was, der darf nicht gehen«

Für den Ring Christlich-Demokratischer Studenten ist der Rücktritt Guttenbergs konsequent. Der Bundesvorsitzende Dennis Kahle sagte zudem, für seine Verdienste für die Bundeswehr gebühre ihm Dank. Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Ulrich Kirsch, sprach gegenüber dem Sender n-tv von vielen Anrufe »aus dem Einsatz«. Da sei ihm gesagt worden: »Mensch, macht was, wir brauchen eine Unterschriftenaktion, der darf nicht gehen.« Wer an einer Bundeswehr-Universität studiert habe, sehe das anders. Hier werde gesagt: »Wenn wir so etwas tun, wie um die Plagiatsvorwürfe ja nun deutlich geworden ist, dann hätten wir ein truppendienstgerichtliches Verfahren über uns ergehen zu lassen.«

Bereits am Tag nach dem Rücktritt war der Ruf nach einer zweiten Chance nicht zu überhören. Die Internet-Gemeinde hat sich wieder an die Spitze der Bewegung gesetzt: Auf Facebook haben sich unter dem Motto »Wir wollen Guttenberg zurück« binnen weniger als 24 Stunden 360 000 Gegner »dieser öffentlichen Hinrichtungs-Kultur formiert«.


Sie kehrten schon zurück

In der deutschen Politik gibt es viele Beispiele für überraschende Rücktritte und glanzvolle Comebacks.

  • Gustav Heinemann trat 1950 als CDU-Innenminister im Streit über die Wiederbewaffnung Deutschlands zurück. Später trat er in die SPD ein, wurde Justizminister und 1969 Bundespräsident.
  • 1962 stolperte CSU-Chef Franz-Josef Strauß über die »Spiegel«-Affäre. Der Verteidigungsminister witterte einen Abgrund an Landesverrat wegen eines Artikels, die Bundesrepublik sei nur »bedingt abwehrbereit«. Unter anderem wurde »Spiegel«- Chefredakteur Rudolf Augstein verhaftet. 1963 wurde Strauß Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag. 1966 feierte er sein Minister-Comeback im Bonner Finanzministerium. 1980 war Strauß sogar Kanzlerkandidat der Union, unterlag aber Helmut Schmidt (SPD).
  • In jüngerer Vergangenheit kamen unter anderem Cem Özdemir (Grüne) und Gregor Gysi (LINKE) nach Rücktritten wegen privat genutzter Bonusmeilen wenige Jahre später als Partei- beziehungsweise als Fraktionschef zurück. Oskar Lafontaines spektakulärer Rücktritt vom Amt des Bundesfinanzministers 1999 und SPD-Parteivorsitz mündete in ein Comeback an die Spitze der Linkspartei 2007.
  • Wolfgang Schäuble galt im Jahr 2000 nach seinen Verwicklungen in die CDU-Spendenaffäre um den Waffenlobbyisten Karlheinz Schreiber als politisch erledigt, wurde aber ab 2005 zum Minister in den Regierungen von Kanzlerin Angela Merkel. (dpa/ND)
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