Wisconsin begehrt auf
Wegen harter Sparpläne befindet sich der US-Bundesstaat im Ausnahmezustand und steckt nun auch andere an
Seit zwei Wochen protestieren in Madison, der Hauptstadt des Bundesstaates Wisconsin, Zehntausende Menschen gegen das Vorhaben der Konservativen, den Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes das Recht auf Tarifverhandlungen zu nehmen und sie damit faktisch bedeutungslos zu machen. Trotz des heftigen Widerstands bleibt Republikaner-Gouverneur Scott Walker kompromisslos und stellte am Dienstag in seiner Haushaltsrede sogar weitere Einsparpläne im Bildungs- und Gesundheitssystem vor. Allerdings kann er sein Gesetz bis heute nicht beschließen. Denn die demokratischen Senatoren sind aus Protest gegen die Rotstiftpolitik in den benachbarten Bundesstaat Illinois »geflohen«. Es muss aber mindestens ein Mitglied der Opposition zur Abstimmung anwesend sein.
Walkers Ankündigung weiterer Sparmaßnahmen verfolgten die Demokraten im Fernsehen. Es fühle sich an, »als befinden wir uns im Ausverkauf«, sagte der demokratische Abgeordnete Cory Mason. Die Verbrauchervereinigung »Citizen Action« kritisierte, dass Walker die gesamte »Haushaltsbürde« des Staates Kindern, den schwächsten Bürgern und den öffentlichen Angestellten »aufhalsen« wolle.
Walker hatte am Dienstag den vollen Umfang der Austeritätsmaßnahmen enthüllt, über die die Parlamentarier abstimmen sollen. Neben der Abschaffung des Tarifrechts sollen im öffentlichen Schulsystem 900 Millionen Dollar gestrichen werden. Darüber hinaus will er bei der öffentlichen Krankenversicherung für Ältere und Behinderte 500 Millionen Dollar kürzen.
In seiner Haushaltsrede, die von Demonstranten mehrfach lautstark unterbrochen wurde, verteidigte er seinen »Reformhaushalt« als notwendig, um das Haushaltsloch von 3,6 Milliarden Dollar zu schließen. Mit der Abschaffung des Tarifrechts hätte der Staat »mehr Flexibilität«. Der Sparkurs bedeutet für Hunderttausende aus den Mittelschichten den sozialen Abstieg und für diejenigen, die sich bereits auf den unteren Sprossen der Leiter befinden, den freien Fall. Die Konservativen, die im November vergangenen Jahres den Demokraten auf Bundes- und Einzelstaatebene viele Sitze abnehmen konnten, haben sich dadurch bereits viel Zustimmung verspielt.
Auch den trägen Gewerkschaftsdachverbänden, die ihre Maschinerie sonst nur zu Wahlen anwerfen, dämmert es, dass es sich um einen Generalangriff handelt. So kommt es derzeit auch in Ohio und Indiana zu Protesten gegen ähnliche Gesetzesvorhaben. In 30 Bundesstaaten brachten am Wochenende einzelstaatliche Gewerkschaften Tausende Menschen auf die Straße, die sich mit der Bevölkerung von Wisconsin solidarisch erklärten.
Der regionale Ableger des Gewerschaftsdachverbandes AFL-CIO denkt für den Fall, dass das Austeritätsprogramm beschlossen wird, über einen Generalstreik nach. Der Verband vertritt rund 90 kleine Einzelgewerkschaften. In den vergangenen Tagen schüttelten auch die Vorsitzenden zweier USA-weit organisierter Gewerkschaften den Demonstranten vor dem Parlamentsgebäude in Madison die Hände. Zu einem überregionalen Generalstreik erklärten sie: »Wenn es sein muss, muss es sein.«
Linke Kommentatoren schließen nicht aus, dass die Führung der Dachverbände tatsächlich die Hebel in diese Richtung in Bewegung setzen könnte. Wenn sich die Erkenntnis durchsetzt, dass die Republikaner die Gewerkschaften vor den Kongress- und Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr nicht nur in Wisconsin, sondern USA-weit ausschalten wollen, dann wird sich auch in den oberen Gewerkschaftsetagen etwas bewegen, heißt es.
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