Supermänner und Schamanen
Die Ausstellung »Der Traum vom Fliegen« im Haus der Kulturen der Welt
Vogelschwingen vibrieren, Triebwerksflügel rotieren, ein Schamanenmantel bauscht sich auf und Menschenleiber kreiseln im Aerotrim. All dies geschieht ausgerechnet in dem einem Schmetterlingsflügel nachempfundenen Bau der Kongresshalle im Tiergarten. Mit der Ausstellung »Der Traum vom Fliegen« kehrt das Haus der Kulturen der Welt zu seinen architektonischen Wurzeln zurück. Es leistet sich mit Hilfe der Bundeskulturstiftung einen 500 000 Euro teuren, inhaltlich erfreulich komplexen und mit einigen spektakulären Objekten ausgestatteten Rundflug durch die Künste und Träume des Abhebens.
Zunächst wird wenig überraschend die Geschichte des abendländischen Flugwesens anhand der Biografien einiger Pioniere wie Otto Lilienthal, Hubschrauberkonstrukteur Igor Sikorsky oder Raketenbauer Wernher von Braun nacherzählt. Darin werden immerhin als Episoden um den Flug verdiente Frauen erwähnt: Die erste deutsche Langstreckenfliegerin Elly Beinhorn, die durch übergroße Nähe zu Adolf Hitler aufgefallene Testpilotin Hanna Reitsch und die wagemutige Melitta Schenk Gräfin von Stauffenberg. Sie wurde beim Versuch, ihren Mann, den Bruder des Hitler-Attentäters Claus Schenk Graf von Stauffenberg, aus der Sippenhaft zu befreien, im April 1945 von einem US-Bomber abgeschossen.
Ein zweiter Erzählstrang betrachtet die Vögel als Flug-Vorbilder des Menschen. So finden sich gleich am Eingang zwei Videos gegenübergestellt. Eines zeigt einen silberfarbenen Kampfjet, der durch die Lüfte schneidet. Das andere bildet einen ebenfalls silbrig glänzenden Vogelschwarm ab. Dass die Vögel sich in Gesellschaft befinden, der Kampfjet jedoch weitgehend solistisch die Erde überfliegt, kann man auch als Zeichen dafür deuten, dass dem Menschen das Fliegen trotz aller technischen Entwicklung doch noch nicht gar so natürlich von der Hand geht.
Der interessanteste Aspekt der Ausstellung ist aber, dass die Kuratoren Thomas Hauschild und Britta N. Heinrich die mentale Fähigkeit zum Fliegen als Grundvoraussetzung für die vertikale Bewegung des Menschen herausstellen. »Wir können alle fliegen«, behauptet Hauschild und erinnert daran, dass wir als Kinder meist von unseren Eltern getragen wurden. Ein Schaubild des Landau-Reflexes – im ersten Lebensjahr nehmen Kinder gern eine »Flugstellung« mit erhobenen Beinen, hoch gerecktem Kopf und ausgebreiteten Armen ein – suggeriert weitere frühkindliche Fliege-Erfahrungen.
Hauschild verweist auch auf Nahtod-Erfahrungen sowie halluzinatorische Trips, bei denen einzelne Personen erlebt hätten, ihren Körper verlassen und aus der Vogelperspektive wahrgenommen zu haben. Großen Raum nehmen in der Ausstellung schamanistische Praktiken ein. Prunkstück ist ein hervorragend erhaltener Mantel sibirischer Schamanen, der aus der Zeit der Zarin Katharina II. stammt. Die Berliner Modemacherin Lisa D präsentiert in einer Installation ein Objekt, das diesem Mantel nachempfunden ist.
Auf einem Werbevideo ist zu erkennen, wie eine Tänzerin im Vogelkostüm die Flugbewegungen einer heutigen Schamanin nachzuahmen versucht. Dieser ein wenig abseitig wirkende ethnologische Ausflug gewinnt an Substanz, wenn man der Argumentation der Kuratoren folgt, dass sich auch die modernen Flugtechnologien erst herausgebildet hätten, als Gesellschaften wie der europäische Barock oder das chinesische Kaiserreich vor mehr als 1000 Jahren ein Niveau erreicht hatten, dass es vielen Einzelnen ermöglichte, vom Fliegen nicht nur zu träumen, sondern Experimente zur Erfüllung dieses Traumes anzustellen. Die größte Schöpferkraft liegt daher im Geiste und nicht in den Händen, die ein Werkzeug bedienen oder den Fingerspitzen, die auf einer Tastatur tanzen. In einer Technik-affinen Zeit wie der heutigen ist dies ein notwendiger Hinweis.
Wie weit der Traum vom Fliegen in der Gegenwart bereits banalisiert ist, rief der Intendant des Hauses der Kulturen der Welt, Bernd M. Scherer, bei einem Presserundgang durch die Ausstellung anhand eines Loriot-Sketches in Erinnerung. »Der Mensch ist das erste Wesen, das beim Fliegen eine warme Mahlzeit zu sich nehmen kann«, zitierte Scherer den Altmeister des subtilen Alltagshumors.
Tendenzen, sich der Massenverschickung per Flugzeug zu entziehen und zur Essenz des Fliegens als Einzelwesen zurückzukommen, beschließen die Ausstellung. So genannte Jet Men wie der Schweizer Pilot und Erfinder Yves Rossy schnallen sich Ein-Personen-Fluggleiter auf den Rücken und stürzen sich so in die Lüfte, wie es der Comic-Konsument von Superman und der klassisch Informierte von Ikarus her kennt.
4. März bis 8. Mai, Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee 10, Infos unter Tel.: (030)-39 78 71 75, www.hkw.de
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