BLOGwoche: Ölprinz Guttenberg
Am Ende sind sie alle geschockt. Auf den Fernsehschirmen ist Adolf Hitler zu sehen, der »Führer« ihrer Organisation. »Ja, ja, Ihr wärt alle gute Nazis gewesen«, sagt ihr Lehrer Ben Ross und die Schüler in der vollbesetzten Aula schweigen betreten. Steht »Die Welle« von Morton Rhue eigentlich immer noch auf dem Lehrplan von Englischkursen?
Nazi-Vergleiche verbieten sich eigentlich als Stilmittel in der sachlichen Auseinandersetzung. Und dennoch fällt es schwer, angesichts von Hunderttausenden, meist jungen Menschen, die sich bei Facebook »Gegen die Jagd auf Karl-Theodor zu Guttenberg« aussprechen oder »Wir wollen Guttenberg zurück« fordern, nicht von einer »Guttenbergjugend« zu sprechen. Es ist schwer zu sagen, woher ausgerechnet bei einer eher als unpolitisch gescholtenen Jugend plötzlich diese Begeisterung für einen einzelnen Minister herkommt – noch dazu für einen von der CSU, die sonst nicht unbedingt einen übermäßigen Zuspruch junger Wähler erfährt. Ist es wirklich »eine ganz natürliche Neigung der Menschen, nach einem Führer Ausschau zu halten, nach irgendjemandem, der alle Entscheidungen« trifft, oder fällt das Licht einer Massenhysterie hier eher zufällig auf einen Politiker?
Chuck Klosterman hat einmal geschrieben, dass man wahrscheinlich alle Menschen außerhalb seines engsten Freundeskreises mit einem einzigen Satz beschreiben könne. In Wahrheit reicht vermutlich ein einziges Wort oder Gefühl aus: Der Typ, der auf dem Schulhof immer alleine rumstand? »Nerd«. Stefan Effenberg? »Trottel«.
Wer das politische Tagesgeschäft nicht mal mindestens verfolgt, aber an Titelbildern wie »Der coole Baron«, »Die fabelhaften Guttenbergs« oder »Wir finden die GUTT!« vorübergeht, speichert den charismatischen Franken natürlich schnell unter »cool« ab, so wie ich als Kind Helmut Kohl unter »dick und mit Sprachfehler« abgespeichert hatte. Wenn Guttenbergs Karriere nicht ein jähes vorläufiges Endes gefunden hätte, wäre er bis zur Bundestagswahl 2013 sicher noch auf dem Cover der »Bravo« aufgetaucht.
Der Autor ist Blogger bei BILDblog.de und coffeeandtv.de und lebt in Bochum;
zum Weiterlesen: www.coffeeandtv.de/2011/03/04
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.