Japanische Hochzeit im Oderland

Entdeckungsreise mit Bus und Bahn zu märkischen Schlössern und Herrenhäusern / Reichenow war Kita, Kneipe und Konsum- jetzt ist es Hotel

  • Kerstin Petrat
  • Lesedauer: 3 Min.
Hinter jedem Zaun wartet ein durch Schilder angekündigter bissiger Hund darauf, Vorbeikommende anzukläffen. Ein alter Mann in ausgebeulter Jogginghose und Gummistiefeln braust auf seinem Mofa vorbei. Er hält den rechten Arm heraus und verschwindet in einer Gasse. Ein paar Meter weiter, am Ende einer Kieselstein-Auffahrt streckt sich ein Schloss in den Himmel. Hier servieren freundliche junge Damen italienische Kaffeespezialitäten. Im Dorf Reichenow, nahe Wriezen, sucht man vergebens nach einem Café. 1897 ließ August Freiherr von Eckardstein das Schloss für seinen Sohn Julius bauen. Der damals moderne englische Tudor-Stil wirkt sehr verspielt. Im ganzen Haus finden sich orientalisch anmutende Stuck-Bögen, an der Außenfassade prunkt zahlreich Zierrat, und ein Turm krönt das Gebäude. Hinter ihm liegt romantisch ein Badesee, der Lange See. Lange sollte der Landsitz der Familie nicht unbeschadet stehen: Eine Bombe traf den Turm im Zweiten Weltkrieg. Er musste deshalb 1945 komplett abgetragen werden. Im gleichen Jahr floh seine letzte Bewohnerin, Osterhold von Eckardstein, hochschwanger und mit sieben Kindern vor der Roten Armee auf einem Traktor gen Westen. Osterhold von Eckardstein lebt heute in Hannover, quietschfidel und 98-jährig. Sie hat sogar mitgeholfen, das Schloss zu rekonstruieren und kam das letzte Mal vor zwei Jahren auf einen Besuch vorbei. Auch ihr Sohn pflegt seine Beziehung zum ehemaligen Familienbesitz. Der Schauspieler liest schon mal Fontane im Schloss. Seit 1945 kamen dem Schloss viele Bestimmungen zu. Zunächst hatte das sowjetische Militär hier eine Verwaltung. In der DDR gab es hier Wohnungen, Kindergarten, Schule, Friseur, Gaststätte und Konsum. Zum Schluss stand es leer. Als letztes zog der Kindergarten im Erdgeschoss Anfang der 90er Jahre aus. Nur ein Künstler nutzte noch einen der Räume als Atelier. Ab 1993 investierte die Brandenburgische Schlösser GmbH elf Millionen Mark in den Wiederaufbau des Schlosses. In enger Zusammenarbeit mit der Denkmalbehörde entstand in fünf Jahren ein kleines Schmuckstück. Das Schloss wurde originalgetreu restauriert, nicht einmal eine Wand versetzten die Arbeiter. Ein paar Fenster, Türen und ein wenig Parkett konnten die Restaurateure sogar im Original retten. Als die Renovierung begann, waren die Balkenköpfe im ersten Stock verfault, so dass die Decke einzustürzen drohte. Bald fanden sich zwei Pächterinnen für das Schloss: Ursula Hahn und Sabine Kirstein verwandelten es in ein Hotel. Die ehemalige Grafik-Designerin und die Steuerfachgehilfin wollten »etwas Neues« machen, investierten 1,5 Millionen Mark in das Innenleben und pachteten das Schloss 1997 für 15 Jahre. Es hat sich gelohnt. Ihr im September 1997 eröffnetes Hotel läuft »wie vorgestellt«. 18 Angestellte beschäftigen sie mittlerweile. Stolz erzählt Ursula Hahn, dass man schon 15 Lehrlinge ausgebildet habe- als Hotel- oder Restaurantfachleute und als Koch. Die Gäste kommen, um sich einen Tag oder ein Wochenende verwöhnen zu lassen mit Sauna, Kosmetik und Massagen. Andere halten hier ihre Tagungen ab und wiederum andere heiraten. Das Standesamt liegt direkt im Schloss. Letztes Jahr gaben sich hier 112 Paare das »Ja-Wort«. Die meisten Heiratswilligen kommen aus Berlin und Umgebung, aber auch Franzosen, Engländer und Amerikaner sind darunter. Besonders gern erinnert sich Ursula Hahn an das Pärchen, das mit 30 Gästen aus Japan einflog, schnell heiratete und am nächsten Tag zurückflog nach Japan, wo Urlaub rar ist. Die japanische Braut hatte sich eine »deutsche Märchenhochzeit« mit ihrem deutschen Partner gewünscht. Romantisch Veranlagte können sich in der Dorfkapelle aus dem 13. Jahrhundert vermählen lassen. Die Kirche aus groben Steinen steht auf einer Wildwiese am Ortsrand. Gegenüber weiden ein paar Pferde, und hinter ihr schließt sich der Friedhof an.

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