Skandal-Force Okerstraße

Chronik einer sozialen Intervention in Neukölln, die am Ende das Gegenteil des Erwünschten erreichte

  • Tony Sanders
  • Lesedauer: 4 Min.

Der im Norden des Bezirks Neukölln gelegene Schillerkiez gilt als Problemquartier. Die Erwerbslosigkeit ist hoch, der Ausländeranteil ebenso. Hier entstand vor zwei Jahren die »Task Force Okerstraße« (TFO), gemeint war eine behördenübergreifende Zusammenarbeit von Polizei, Jobcenter, Jugendbehörden, Sozialarbeitern und des Quartiersmanagements (QM). Die Leitung übernahm Arnold Mengelkoch, Migrationsbeauftrager im Bezirk, Kerstin Schmiedeknecht als QM-Chefin wurde Stellvertreterin. Die »Task«, also die »Aufgabe« war: In der Okerstraße hatten sich in zwei Häusern Roma-Familien aus Südeuropa niedergelassen, bis zu 40 Personen. Die Kinder würden Anzeichen von Verwahrlosung zeigen, hieß es. Auch ein paar Trinker in der Schillerpromenade waren Stein des Anstoßes, der beseitigt werden sollte.

Im November 2009 bezog Integra e.V. Räume in der Nachbarschaft der Okerstraße. Die sechs Sozialarbeiter begannen ihre Arbeit. Der Boxer Manfred Steffens begann mit großer Resonanz das »Mitternachtsboxen«. Das Projekt wurde nach und nach angenommen. Aber am 22. Dezember 2010 erhielt Integra e.V. vom Bezirksamt die fristlose Kündigung zum 1. Januar 2011, ausgesprochen durch das Büro von Arnold Mengelkoch, dem Migrationsbeauftragten.

Zunächst ohne Kenntnis der Öffentlichkeit. Noch am 18. Januar trat Frau Schmiedeknecht vom QM Schillerpromenade vor den Ausschuss für Integration und Gleichstellung des Bezirksparlamentes und beschrieb die Arbeit von Integra als erfolgreich. Der Verein habe es geschafft, zu den Jugendlichen Vertrauen aufzubauen. Die Grünen erhielten auf Nachfrage die Antwort, Integra sei nicht gekündigt worden. Der Vertrag sei vielmehr turnusgemäß ausgelaufen.

An diesem amtlichen Stillschweigen hätte sich auch nichts geändert, wenn nicht Kazim Yildirim, Geschäftsführer von Integra e.V., am 9. Februar mit einer Presseerklärung an die Öffentlichkeit getreten wäre. Darin erhob er schwere Vorwürfe gegen Arnold Mengelkoch. »Das begann im Sommer. Man hat die Herausgabe von Daten verlangt. Namen, Anschrift, wie viele Personen leben in der Wohnung, ihr Aufenthaltsstatus, ihre Einkommensquellen, die peer-groups, kriminelle Neigungen. Wir haben uns geweigert, die Daten herauszugeben«, erklärte Yildirim. Erst durch die Presseerklärung erfuhren auch die Mitglieder des Quartiersrates (QR), einem Gremium von Anwohnern und Gewerbetreibenden im Gebiet, von der Kündigung. Zu einem Pressegespräch am 11. Februar in der bisher genutzten Turnhalle der Kurt-Weise-Schule stand man vor verschlossenen Türen: Die Schlösser waren ausgewechselt worden.

Auch in Reaktion darauf stellten die Grünen zur Sitzung der BVV am 23. Februar eine Große Anfrage zu den Umständen der Kündigung von Integra. Die Antwort: Es gebe den Verdacht auf Betrug. Man werde gerichtlich gegen Integra vorgehen und könne zu einem schwebenden Verfahren nicht Stellung nehmen. Das Problem dabei: Ein Strafverfahren wurde bis heute nicht eingeleitet. Kazim Yildirim bestätigt lediglich einen Schriftverkehr mit einem vom Bezirksamt beauftragten Rechtsanwalt. Der habe die Herausgabe der Abrechnungsunterlagen gefordert. »Aber die liegen ihnen bereits im Original vor, wir haben nur die Kopien.« Das Bezirksamt weist die Vorwürfe von Kazim Yildirim zurück. Lediglich statistische Daten habe man verlangt, erklärt Bianka Genz, in der Bezirksverwaltung für die QMs zuständig, auf Nachfrage. Das alles sei vom Datenbeauftragten für unbedenklich erklärt worden.

Inzwischen stehen die Beteiligten vor einem Scherbenhaufen. »Es geht um unsere Glaubwürdigkeit. Wir müssen uns gegen die Vorwürfe zur Wehr setzen«, beteuert Kazim Yildirim. Er fährt fort: »Es kann sein, dass wir am Ende Recht bekommen, sind aber trotzdem aus dem Bezirk verbannt.« Thomas Hinrichsen, Mitglied der LINKEN und des Quartiersrats Schillerpromenade, beklagt, dass die Erfolge der Sozialarbeiter zunichte gemacht wurden. Bei den Jugendlichen sei Vertrauen zerstört und der Integration Schaden zugefügt worden. »Der Verdacht, den ich nicht loswerden kann, ist, dass das Bezirksamt ganz klar die Daten verlangt hat, und es behauptet in der Öffentlichkeit das Gegenteil.«

Die Provinzposse hat inzwischen das Potenzial eines Skandals, letztlich mit Heinz Buschkowsky (SPD), dem Bezirksbürgermeister, als Hauptdarsteller. Denn das Bezirksamt unter seiner Leitung windet sich in widersprüchlichen Aussagen und würde sich wohl gern parlamentarischer Kontrolle entziehen. Das Verhältnis von Quartiersmanagement und Quartiersrat ist nachhaltig erschüttert. Das Vertrauen zu den Jugendlichen ist zerstört. Und das alles in einem spannungsgeladenen Quartier.

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