»Gegen alle Widerstände durchgehalten«

Ver.di traf sich in Hessen zur Landeskonfernez und hofft auf klares »Nein« bei Volksabstimmung

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 3 Min.
Am Wochenende trafen sich Delegierte Hessens zur Landesbezirkskonferenz der Gewerkschaft ver.di in Fulda. Ein Thema: Die beabsichtigte Schuldenbremse.
Auch der Wiesbadener Fastnachtsumzug wurde bereits für den Protest gegen die Schuldenbremse genutzt.
Auch der Wiesbadener Fastnachtsumzug wurde bereits für den Protest gegen die Schuldenbremse genutzt.

»Noch im November war es nicht chic, öffentlich mit Bothner, Nagel und Körzell aufzutreten«, stellte Hessens DGB-Landeschef Stefan Körzell fest. Körzell gilt zusammen mit dem wiedergewählten ver.di-Landesleiter Jürgen Bothner und GEW-Landeschef Jochen Nagel als Pionier der Kampagne gegen die Verankerung einer Schuldenbremse in der Landesverfassung. »Wir haben gegen alle Widerstände durchgehalten«, freute sich Körzell. Mit dem Projekt Schuldenbremse soll das Verbot einer Neuverschuldung ab 2020 Verfassungsrang erhalten. Rückendeckung erhielt die Kampagne am Wochenende auch von ver.di-Chef Frank Bsirske, der auf dem Kongress in Fulda vor einem sozialen Kahlschlag im Gesundheitswesen warnte.

Wenige Tage vor der Volksabstimmung über die von CDU, FDP, Grünen und SPD gewollte Verfassungsänderung registrieren die im Aktionsbündnis »Handlungsfähiges Hessen« verbündeten Gegner der Schuldenbremse ein wachsendes Echo. So hat sich nun auch der Landeselternbeirat für eine Ablehnung ausgesprochen. Somit stehen alle relevanten Interessenvertreter im Bildungswesen – Gewerkschaften, Schüler und Eltern – im Nein-Lager.

Ihre Ablehnung nährt sich auch aus der Ankündigung von Kultusministerin Dorothee Henzler (FDP), den Bildungsetat 2011 um über 68 Millionen Euro zu kürzen. Damit dürfte der Inklusionsunterricht, also das gemeinsame Unterrichten von Schülern mit und ohne besonderen Förderbedarf, nicht mehr möglich sein. Nun sorgen Meldungen über einen Verkauf der Landesanteile an der Wohnungsbaugesellschaft Nassauische Heimstätte für Unruhe. Auch dies dürfte mit der Schuldenbremse gerechtfertigt werden.

Vor den Folgen der Schuldenbremse für die soziale Infrastruktur warnen auch regionale Zusammenschlüsse von Wohlfahrtsverbänden, darunter das Deutsche Rote Kreuz (DRK), dessen Präsidentin auf Landesebene Ex-Bundesfamilienministerin Hannelore Rönsch (CDU) ist. Im Evangelischen Dekanat Rüsselsheim sagen 21 Pfarrer mit Namen und Gesicht Nein zur Schuldenbremse. »Gestern den Banken Steuergeld hinterher werfen, heute Sozialausgaben kürzen und die Reichen entlasten und 2020 den Staat vollends handlungsunfähig machen«, kritisiert die Rüsselsheimer Pfarrerin Hanne Köhler eine Politik nach dem Prinzip »Nach mir die Sintflut«.

Während die Befürworter der Verfassungsänderung bisher eine Zustimmung von weit über 80 Prozent anvisierten, sind sie jetzt bescheidener. So hofft Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) auf gut 60 Prozent Ja-Stimmen. Im Gewerkschaftslager schöpft man daraus Hoffnung. Nun sollen noch einmal 200 000 Gewerkschaftsmitglieder kontaktiert werden. Allein in der vergangen Woche hatten in einer landesweiten E-Mail-Aussendung weitere 700 Menschen Bereitschaft zur Mithilfe bekundet, so Körzell. Eine vor dem Frankfurter DGB-Haus als Gegenentwurf zur Berliner »Schuldenuhr« des FDP-nahen Bundes der Steuerzahler angebrachte »Reichtumsuhr« soll verdeutlichen, dass sich der Reichtum der oberen zehn Prozent permanent vermehrt und die öffentliche Hand Einnahmen verschenkt.

Unabhängig vom Ausgang der Volksabstimmung sind in der Hessen-SPD Konflikte angesagt. Denn viele Basismitglieder wollen sich dem von Landeschef Thorsten Schäfer-Gümbel durchgesetzten »Ja« der Partei zur Schuldenbremse widersetzen und mit »Nein« stimmen. Selbst bei den Grünen, die lange vor der SPD in das Boot von CDU und FDP gestiegen waren, ist wenig Schwung spürbar. »So richtig begeistert von der Schuldenbremse war niemand«, heißt es in einem Bericht des konservativen »Wiesbadener Kurier« über eine Debatte des örtlichen Grünen-Kreisverbands.

Auf der Landeskonferenz der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di beschlossen die Delegierten einen »beschleunigten Atomausstieg bundesweit, europaweit und weltweit«. Weitere Forderungen sind ein Programm zur Umrüstung auf erneuerbare Energien und zur Energieeinsparung, bei dem »Regierungen, Kommunen und Stadtwerke, Wissenschaft, Forschung und Gewerkschaften an einem Strang ziehen« müssten. Dabei könnten und müssten »auch unsere im Energiebereich tätigen Kolleginnen und Kollegen ihre Erfahrung und Kompetenz einbringen und somit gleichzeitig längerfristig ihre Arbeitsplätze sichern«. Die Sicherheitsinteressen der Bevölkerung dürften nicht »den Profitinteressen von Energiekonzernen wie RWE, E.on, EnBW und Vattenfall untergeordnet« werden, heißt es in dem Beschluss weiter: »Diese Konzerne, die Energieerzeugung und Netze gehören vollständig in die öffentliche Hand und unter demokratische Kontrolle.« Der Kongress forderte alle Gewerkschaftsmitglieder zur Teilnahme an Protestaktionen, Demonstrationen und Kundgebungen der Anti-Atomkraft-Bewegung auf.

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