In Kreuzberg kocht die Welt
Wie Migrantinnen von Hartz-IV-Empfängerinnen zu Unternehmerinnen wurden
Flott lässt Maja Basic das Messer über das Schneidebrett gleiten. Mit geübtem Griff schnippelt die Bosnierin den grünen Salatkopf in feine Streifen. Sie arbeitet gerade an einer Vorspeise. Ihre Kollegin Fatme Kazbar aus dem Libanon fügt Oliven, Tomaten und Schafskäse hinzu. Die beiden Frauen arbeiten in der »Weltküche« im Kreuzberger Graefekiez. Dort haben sich arbeitslose Migrantinnen zusammengetan und ein ungewöhnliches Selbsthilfeprojekt auf die Beine gestellt. Aus langjährigen Hartz-IV-Empfängerinnen wurden Unternehmerinnen.
Der gemeinnützige Verein Graefewirtschaft unterstützt die »Weltküche« und kooperiert dabei mit der Positiven Aktion, einem anderen gemeinnützigen Verein, der HIV-positiven Migrantinnen hilft und Flüchtlingen sowie Bleibeberechtigten Arbeit in Unternehmen vermittelt. »Die Idee zu dem Gemeinschaftsunternehmen entstand während eines Integrations- und Gesundheitskurses«, erzählt die Geschäftsführerin der Graefewirtschaft, Annette Jankowski. »Eine Gruppe von Migrantinnen, die sehr gut kochen, backen und nähen kann, hatte die Nase voll von weiteren Beschäftigungsmaßnahmen. Die Frauen ergriffen die Initiative, ihre Fähigkeiten zu erproben und sich professionelle Unternehmensberater zu suchen. Diese Frauen haben die Weltküche gegründet. Rechtlich gesehen ist das eine haftungsbeschränkte Unternehmergesellschaft, eine Mini-GmbH.« Und nun kocht in Kreuzberg die Welt.
Die täglich wechselnden Gerichte stammen aus den Heimatländern der Frauen – aus Sri Lanka, Syrien, der Türkei und Bosnien. So wird zum Beispiel auf den Tafeln im Lokal im eigenen Saft geschmorte Hühnerkeule mit gegrilltem Gemüse angeboten. Auch Couscous gibt es oder Sigara Böreki, mit Käse und Kräutern gefüllte türkische Teigtaschen, Pochas (weiße Bohnen auf spanische Art) oder orientalische Gemüsesuppe.
An jedem letzten Freitag im Monat gibt es internationale Livemusik, dazu ein Buffet aus dem jeweiligen Land. So spielt am 25. März ab 19 Uhr die griechische Gruppe Rebet Asker Rembetikomusik.
Während im Erdgeschoss gekocht und gebrutzelt wird, brummen ein Stockwerk darüber Nähmaschinen. Hier entwerfen und nähen Frauen wie Vasuky Selvaratnam aus Sri Lanka schicke Taschen, die dann im Restaurant zum Kauf angeboten werden. Auch eine Änderungsschneiderei gibt es. Für die soziale Einrichtung Bethesda wurden Gardinen genäht.
Das Startkapital von 20 000 Euro legte Annette Jankowski auf den Tisch. »Ich war Managerin, Strategieleiterin bei der Deutschen Bahn in einer sehr hohen Position und wollte mal eine Auszeit nehmen«, berichtet sie. »Als ich von der Idee der Frauen hörte, war ich sofort begeistert davon, dass die Migrantinnen sich selbstständig machen wollten. Ich habe dann gesagt: Ja, das kann ich gut. Wirtschaft, Kommunikationswissenschaft und Psychologie sind mein Know-how und ich habe unternehmerische Erfahrung.«
Die Philosophie hinter dem Konzept: Migranten arbeiten mit Einheimischen zusammen und führen ein eigenes Unternehmen. Annette Jankowski hatte die Erfahrung gemacht: »So etwas wird von den Jobcentern nicht angeboten. In Deutschland gibt es keine Instrumente und Konzepte für Gruppengründungen. Wir sind so eine Art Interimsmanagement. Wenn die Frauen genügend Wissen haben, ziehen wir uns zurück.«
So viel Einsatz wurde auch schon honoriert. Erst kürzlich bekamen die Unternehmerinnen den Berliner Preis »Soziale Stadt« verliehen. Außerdem wurde der Betrieb mit dem Preis für bürgerschaftliches Engagement der Stiftung »Bürger für Bürger« ausgezeichnet. Und für die innovative Projektidee wurde der Betrieb von der Initiative »Deutschland – Land der Ideen« zum »Ausgewählten Ort 2011« ernannt.
Weltküche, Graefestraße 18, Kreuzberg (U-Bhf. Schönleinstraße), Tel. 61 67 14 03
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!