Der ÖBS ist längst angekommen
Senatorin Carola Bluhm über Chance und Inhalt ihres Beschäftigungsprogramms
ND: Ist jetzt Schluss mit dem ÖBS?
Bluhm: Wir haben einen Konflikt mit dem Koalitionspartner, der schwer zu lösen ist. Er hat beim ÖBS erst einmal Stopp gerufen. Doch ich bleibe optimistisch. Wir haben Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen überzeugt, dass wir ihr Projekt der Bürgerarbeit zu den besseren Berliner ÖBS-Bedingungen nutzen können. Das heißt, die Beschäftigung wird sozialversicherungspflichtig und so bezahlt, dass man vom Amt unabhängig wird. Wir zahlen einen Mindestlohn, und das fand die SPD bislang auch richtig.
Was bei einer Bundesministerin von der CDU durchgeht, müsste also auch einem SPD-Regierungschef zu vermitteln sein?
Genau deshalb bin ich optimistisch.
Was fehlt denn noch?
Eigentlich nur noch die Zustimmung des Koalitionspartners. Uns ist das ein großes Anliegen, denn wir wollen für Langzeitarbeitslose nicht die 6-Wochen-Maßnahmen oder Trainings für ein Vierteljahr. Uns geht es um mittelfristige, möglichst mehrjährige Beschäftigung zum Mindestlohn. Derzeit arbeiten 5600 Frauen und Männer im ÖBS und tun etwas Sinnvolles für das Gemeinwesen. Die Stadt profitiert ja in vielen Bereichen.
In dem Streit mit dem Koalitionspartner SPD geht es um wie viel Millionen?
15 Millionen für ein Jahr.
Ist das viel oder wenig?
Das sind, wir haben es ausgerechnet, pro Person und Monat bei der aufgestockten Bürgerarbeit für das Land 377 Euro im Monat zusätzlich. Gemessen an dem, was für das Gemeinwesen geleistet wird, ist das überhaupt nicht teuer. Die Alternative zum ÖBS ist: Die Leute sitzen zu Hause und haben nichts zu tun. Wir finden es sinnvoller, dass sie in der Stadt unterwegs sind und anderen helfen. Arbeitslosigkeit zu finanzieren – das ist teuer. Das Geld ist übrigens ja bereits im Haushalt eingeplant.
Nun sagt der Finanzsenator, es geht nicht um ein Jahr, sondern es geht um die Mittel für drei Jahre?
Richtig.
Dann sind das ein paar Millionen mehr.
Auch dieses Geld ist in der mittelfristigen Finanzplanung längst eingestellt. Das Instrument ÖBS funktioniert ja nicht kurzfristig, sondern für mehrere Jahre. Das ist auch für diejenigen, die von den ÖBS-Beschäftigten betreut werden, sehr wichtig. Stellen Sie sich vor, Sie sitzen im Rollstuhl. Dann wollen Sie auch nicht alle halbe Jahre die Bezugsperson wechseln, die Sie zum Arzt oder zu Ihrem Ehrenamt bringt. Sie wollen Stabilität. Das ist für beide Seiten unglaublich wichtig, sonst würde der ÖBS auch nicht funktionieren.
Das heißt, es geht hier nicht allein um ein Referenzprojekt der LINKEN oder der Sozialsenatorin?
Wir sind mit einem Referenzprojekt gestartet. Aber das Projekt ist längst angekommen in der Stadt. Jetzt kämpft nicht die LINKE, sondern jetzt kämpft ein aktiver Teil dieser Gesellschaft dafür, dass es erhalten bleibt, darunter die Beschäftigten, aber auch die, die von ihrer Arbeit profitieren.
Finanzsenator Nussbaum sagt, Sie könnten nicht nachweisen, dass die Beschäftigten später auf dem ersten Arbeitsmarkt landen.
Das war auch nie das vorrangige Ziel des ÖBS. Der Bund gibt uns das ja gerade vor: im ÖBS dürfen nur Leute arbeiten, die so gut wie keine Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt haben. Aber dass sich mit einer Erwerbsarbeit meine Chancen besser entwickeln, als wenn ich zuhause sitze, das liegt doch auf der Hand.
Der Finanzsenator ist übrigens jedes Mal hellauf begeistert, wenn er selber ein ÖBS-Projekt besucht hat, zum Beispiel die Stadtteilmütter.
Wann ist das Chefgespräch mit dem Regierenden Bürgermeister?
Es wird noch in diesem Monat stattfinden.
Was werden Sie Klaus Wowereit sagen?
Dass wir zusammen ein sinnvolles Projekt auf den Weg gebracht haben.
Wenn es mit dem ÖBS wieder vorangeht, dann geht es vielleicht auch der Koalition deutlich besser?
Dafür sind schon etwas mehr Voraussetzungen zu erfüllen. Natürlich wird es zum Ende einer Legislaturperiode ein bisschen rumpeliger, ein bisschen schwieriger zwischen zwei Koalitionspartnern. Aber den ÖBS habe ich immer als gemeinsames Projekt betrachtet. Trotz des Streites werden wir wohl auch zu dieser Grundaussage zurückkehren. Denn Berlin hat etwas hinbekommen, das es in keiner anderen Stadt gibt.
Interview: Klaus J. Herrmann
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