»Das Schlimmste kommt erst noch – mit oder ohne GAU«
Fukushima: Aktivistin zieht Vergleiche zu Leiden der Tschernobyl-Opfer
Es muss wohl die bittere Ironie des Schicksals gewesen sein, welche Heike Sabel auf die japanische Katastrophe aufmerksam machte. Ausgerechnet auf der Plattform einer belarussischen Zeitung las sie das erste Mal vom Reaktorunglück und dem drohenden GAU im Atomkraftwerk Fukushima.
Am Anfang die Reise nach Belarus
Die schrecklichen Bilder aus Japan wecken bei ihr Erinnerungen. Heike Sabel weiß aufgrund ihres langjährigen Engagements für die Strahlenopfer in Belarus ziemlich genau, was die Menschen in Japan alles noch erwartet.
»Das Schlimmste kommt erst noch – mit oder ohne GAU, denn es sind die Menschen, denen irgendwann bewusst wird, was hier geschehen ist«, sagt die Aktivistin. In ihren Gedanken läuft immer wieder ein Film ab, der sich wie die düstere Wiederholung der Ereignisse von Tschernobyl im April 1986 anfühlt. »Ich denke an die Menschen unmittelbar am Reaktor und sehe die Liquidatoren, die ich in Weißrussland kenne und deren Schicksal«, erzählt die Frau aus dem sächsischen Pirna.
Seit 1995 hilft sie den Opfern dieser Katastrophe. Angefangen hatte alles mit einer Reise nach Belarus. Vor Ort hatte Heike Sabel einen Jungen kennengelernt, der an einer zelebralen Lähmung leidet. Zu den möglichen Ursache dieser Krankheit gehört eine Genmutation, die durch radioaktive Strahlung hervorgerufen werden kann.
»Ich habe, wohl von der Situation beeindruckt und die Erwartung der Mutter spürend, versprochen zu helfen«, erinnert sich Sabel. Zurück in Pirna, gründete sie damals eine private Initiative, die die Menschen in Belarus auf unterschiedliche Weisen zu unterstützen versucht. Im Jahr 2005 rief sie gemeinsam mit einigen Bekannten schließlich den Verein »Gemeinsam für die Zukunft« ins Leben. Bis heute ist Heike Sabel die Vorsitzende des Vereins, der bis heute eine enge Partnerschaft mit der im Südosten von Belarus liegenden Stadt Bragin pflegt. Mit dem Jungen, den sie damal traf, ist sie noch immer in von Kontakt.
Gerade diese Begegnung lässt Heike Sabel heute mit einem besonderen Blick nach Japan schauen. Über das Ausmaß des Reaktorunglücks auf die Umwelt können die japanischen Behörden zwar bisher nur wenige Angaben machen. Dennoch zeigen Messungen in einem Umkreis von 60 Kilometern rund um das verunglückte Atomkraftwerk Fukushima, dass eine radioaktive Verunreinigung des Bodens bereits stattgefunden hat.
»Es gilt für Kinder und alle Menschen: Raus aus der Strahlung. Sie brauchen saubere Luft und eine saubere Ernährung«, mahnt daher Heike Sabel. Sorgen bereiten ihr zudem die möglichen psychischen Folgen für die Kinder, wie sie sie bereits durch Tschernobyl zur Genüge kennt. »Die Abgeschlafftheit, die Anfälligkeit machen den Kindern zu schaffen, sie wollen mehr als sie können. Sie erleben zudem immer wieder Krankheit und Tod. Sie versuchen, es zu verstehen, aber es ist schwer, weil man radioaktive Strahlung nicht sieht.«
Für die Japaner kommt der Umstieg zu spät
Solche Belastungen können allerdings nicht nur den Jüngsten zu schaffen machen, meint Sabel. Sie erinnert sich an die Geschichte eines alten Mannes, der trotz besseren Wissens über die eindeutige Gefahr in sein in der Sperrzone um den havarierten Reaktor gelegenes Haus zurückkehrte.
Für eine mögliche Weiternutzung der Atomkraft zeigt Sabel in Anbetracht der katastrophalen Folgen kein Verständnis. »Es gibt genug Sonne, Wind und Wasser auf der Erde und die Technologien ihrer Nutzung sind so weit, dass wir das Atom nicht mehr brauchen.« Für viele Menschen in Japan kommt dieser Umstieg auf die Erneuerbaren Energien womöglich zu spät.
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