Arme Kinder – kranke Kinder

Eine Berliner Studie bestätigt den engen Zusammenhang von Sozialstatus und Gesundheit

  • Sonja Vogel
  • Lesedauer: 3 Min.

Gestern stellte die Senatsverwaltung für Gesundheit ihren 282 Seiten starken Bericht »Sozialstruktur und Kindergesundheit« vor. Der Bericht gibt einen umfassenden Einblick in die Lebenssituation von Kindern und ihren Familien in Berlin. »Der Sozialstatus hat den größten Einfluss auf die Gesundheit«, fasste Gesundheitssenatorin Katrin Lompscher (LINKE) zusammen. Der Zusammenhang ist zwar nicht neu – aber besser belegt.

»In diesem Bericht finden sich umfangreichere Informationen, als wir bisher zur Verfügung hatten«, sagte Senatorin Lompscher. Die Daten von insgesamt 52 699 Kindern im Alter zwischen fünf und sechs Jahren sind dafür ausgewertet worden. Erhoben wurden sie in Berliner Einschulungsuntersuchungen von 2007 und 2008. Für die in der Hauptstadt wohnenden Kinder im Vorschulalter sind sie Pflicht. Die Individualdaten ermöglichten nun die sehr genaue sozial-räumliche Analyse der Lage von Kindern im Einschulungsalter.

Insgesamt sind zwar fast zwei Drittel der Kinder nicht oder nur vereinzelt von gesundheitlichen Risiken betroffen. Jedes achte aber ist auf die eine oder andere Weise gesundheitlich auffällig, hat etwa Koordinationsschwierigkeiten oder Sprachdefizite. Jedes neunte Kind ist übergewichtig und bei jedem elften wurde ein gesundheitliches Risikoverhalten beobachtet.

Drei Dimensionen haben sich für die Autorin der Studie, Susanne Bettge, herauskristallisiert: die Familienform, der Sozialstatus und der mögliche Migrationshintergrund. Die Mehrheit der Kinder wächst mit zwei Elternteilen auf, rund 28 Prozent nur mit einem. Die Untersuchung belegt, dass die Familienform kaum eine Bedeutung für die Gesundheit der Kinder hat. »Das ist eine gute Nachricht«, sagte Katrin Lompscher. Berlin hat bundesweit den höchsten Anteil Alleinerziehender.

Ein Drittel der Berliner Kinder hat einen Migrationshintergrund. Unzureichende Deutschkenntnisse des Kindes und eines Elternteils wurden in dieser Gruppe für neun Prozent erhoben, beim Kind oder einem Elternteil für acht Prozent. »Der Integrationshintergrund an sich ist unbedeutend«, erläuterte Lompscher. »Erst im Zusammenhang mit einem niedrigem Sozialstatus oder unzureichenden Deutschkenntnissen hat er für Kinder Auswirkungen.« Die Kita spielt dabei eine große Rolle. Kinder, die die Kita nur kurz oder gar nicht besuchen, tragen ein deutlich höheres gesundheitliches Risiko. Die Verlängerung des Anspruchs auf einen kostenlosen Kita-Platz zeige bereits Erfolge, so Lompscher. Während 2005 nur die Hälfte der Kita-Kinder gute bis sehr gute Deutschkenntnisse besaß, waren es 2009 bereits 67 Prozent.

»Der stärkste Einflussfaktor auf alle Konstellationen ist der soziale Status«, sagte Autorin Susanne Bettge. Das Einkommen der Eltern wurde in der Erhebung allerdings nicht erfasst. Ein niedriger Sozialstatus bedeute, dass Eltern mehrheitlich keine abgeschlossene Berufsausbildung haben. Im mittleren Bereich verfügen sie über eine Ausbildung, sind aber meist erwerbslos. Einen hohen Sozialstatus haben erwerbstätige Eltern mit höherer Ausbildung.

In Berlin unterscheidet sich der Sozialstatus von Quartier zu Quartier enorm. Senatorin Lompscher freute sich über die Vielfalt der Stadt. »Bestimmte Veränderungen aber bergen Probleme – in den verschiedenen Stadtteilen sehen wir zum Beispiel große gesundheitliche und soziale Disparitäten«, sagte sie. Besonders risikoreich leben jene, die in Wedding, Kreuzberg oder Neukölln zu Hause sind. In einem Cluster, das Stadtteile mit ähnlichen Sozialstrukturen zusammenfasst, wird dies deutlich. In den genannten Stadtteilen leben über die Hälfte der Kinder in der unteren Statusgruppe, drei Viertel haben einen Migrationshintergrund – fast die Hälfte von ihnen spricht unzureichend deutsch. In Gebieten wie Spandau, Steglitz-Zehlendorf, Lichtenberg oder Friedenau hingegen zählen nur fünf Prozent der Kinder zur unteren Sozialstatusgruppe. Nur 15 Prozent haben nichtdeutsche Eltern.

Da die Einschulungsuntersuchungen jährlich stattfinden, zeichnen sich Entwicklungen ab. Der Trend sei eher positiv, schloss Lompscher. »Es ist uns aber noch nicht gelungen, die soziale Benachteiligung abzubauen.«

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