Die Arbeit beginnt
Stuttgart 21 ist ein schwieriger Brocken für Grüne und SPD
Besonnenheit – vor allem dies strahlt der wohl künftige neue Ministerpräsident von Baden-Württemberg aus. Der Grüne Winfried Kretschmann trat gestern Nachmittag vor die Presse, um zu verkünden, dass er einen neuen Politik- und Regierungsstil einführen werde. »Wir wollen mit den Leuten erst diskutieren, bevor wir entscheiden.« Während Kretschmann sich auf seine neue Rolle als Landesvater einstimmt, wurde in der CDU gerätselt, wer die Partei in Zukunft führen wird.
Am Abend teilte Stefan Mappus mit, er werde den Landesvorsitz niederlegen. »Für die Wahlniederlage habe ich persönliche Verantwortung übernommen und persönliche Konsequenzen gezogen.« Der für Herbst geplante Landesparteitag solle für die Neuwahl auf den Mai vorgezogen werden. Wer sein Nachfolger werden könnte, ließ Mappus zunächst offen. Der scheidende Regierungschef kündigte aber personelle und inhaltliche Vorschläge für die Neuausrichtung seiner Partei an. Da er in die Geschichte als der CDU-Ministerpräsident eingehen wird, der seine Partei nach 58 Jahren aus der Regierung gekegelt hat, bröckelt die Front der Unterstützer.
Offiziell äußern wollten sich Christdemokraten erst am Abend nach ihrer Landesvorstands- und Präsidiumssitzung. Der bisherige Fraktionsvorsitzende Peter Hauk hatte schon am Wahlabend Führungsanspruch angemeldet und angekündigt, er wolle diesen Posten gerne weiterhin übernehmen. Hauk, der zum Oettinger-Lager gezählt wird, stellte sich damit gegen die Mappus-Fraktion, in der Umweltministerin Tanja Gönner als potenzielle Nachfolgerin des Noch-Landesvorsitzenden gesehen wird.
Die Grünen demonstrierten Geschlossenheit. Gemeinsam mit den – bislang weitgehend unbekannten – Parteivorsitzenden Chris Kühn und Silke Krebs erläuterte Winfried Kretschmann sichtlich gut gelaunt die weiteren Pläne seiner Partei. Am späten Nachmittag wolle der Landesvorstand das Wahlergebnis auswerten und die Verhandlungskommission bestimmen. »Ansonsten stehen heute keine Personalfragen auf der Tagesordnung«, machte Krebs klar.
Kretschmann erläuterte, nachdem er sich in Berlin »gute Wünsche abgeholt« habe, »beginnt heute die Arbeit«. Zeitnah werde man sich mit der SPD treffen, um Koalitionsverhandlungen zu führen. Dabei wird vor allem das Thema Stuttgart 21 ein schwieriger Brocken für die beiden Parteien werden. Schließlich haben die Sozialdemokraten sich stets für das Milliardenprojekt ausgesprochen. Einig war man sich aber schon vor der Wahl, dass eine Volksabstimmung abgehalten werden solle. »Es sei denn, wir einigen uns in der Sache vorher«, sagte Kretschmann und meinte damit, das Projekt ließe sich vielleicht über den Stresstest kippen. Denn dieser groß angelegte, virtuelle Leistungstest des neuen Tiefbahnhofes werde aller Voraussicht nach zum Ergebnis haben, dass Stuttgart 21 deutlich teurer werden wird. »Ich gehe davon aus, dass die anderen Parteien des Projektes sich dann bewegen werden, meinte Kretschmann. Auf jeden Fall werde nicht alles weitergehen wie bisher, denn: »Jetzt sind die Gegner von Stuttgart 21 an der Regierung. Das verändert schon einiges.«
Teile der außerparlamentarischen S21-Gegner hatten noch in der Nacht auf Montag ihrer Forderung nach einem sofortigen Baustopp Nachdruck verliehen. Einige hundert Aktivisten rissen unter der musikalischen Begleitung einer Trommelgruppe mehrere Bauzäune um. Im Aktionsbündnis gegen S 21 scheint es derweil zu gären. Gangolf Stocker, eine der Galionsfiguren des Widerstands, kündigte an, sein Amt als Bündnissprecher niederzulegen, weil es zu viele Streitereien im Bündnis gebe.
Die FDP möchte ihre Parteispitze erst im April diskutieren. Bei der LINKEN herrschte zunächst Schockstille nach dem verpassten Einzug in den Landtag. Spitzenkandidatin Marta Aparicio meinte am Tag nach der Wahl, die Partei solle so weitermachen wie bisher. Weil die neue Regierung »keinen wirklichen Politikwechsel« mit sich bringe, brauche es eine starke linke Partei im Ländle.
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