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IM Bergmann und die Moralapostel
SPD-Unterbezirkschef von Brandenburg/Havel verteidigt seinen Stellvertreter Dirk Stieger
Für eine differenzierte und rechtsstaatliche Behandlung Stasi-belasteter Personen hat sich SPD-Landtagsfraktionschef Ralf Holzschuher ausgesprochen. Dies sei für ihn eine Frage christlicher Versöhnungsgrundsätze, aber auch eine Frage der Gerechtigkeit, sagte er gestern.
Angesprochen war Holzschuher auf den Fall von Dirk Stieger. Dieser einstige Inoffizielle Mitarbeiter (IM) des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) war in der vergangenen Woche zum stellvertretenden Vorsitzender des SPD-Unterbezirks in Brandenburg/Havel gewählt worden. Diese Wahl sorgte für Wirbel.
»Jemand, der andere an die Stasi verraten hat, ist denkbar ungeeignet für ein öffentliches Amt«, hatte die Vereinigung der Opfer des Stalinismus (VOS) den Vorgang kommentiert. Der VOS-Vizevorsitzende Ronald Lässig hatte neben Stiegers Rücktritt auch dessen »Rausschmiss« aus der SPD gefordert. Dem mochte Holzschuher, der selbst SPD-Unterbezirksvorsitzender in Brandenburg/Havel ist, nicht folgen. Richtig sei, dass Stieger zwei Jahre lang für das MfS tätig war, aber ebenso, dass er sich von allein gelöst hat, bestätigte Holzschuher. Vor diesem Hintergrund dürfe dieser Teil von Stiegers Vergangenheit nach so langer Zeit kein Grund mehr sein, ihm eine Funktion in der Partei streitig zu machen. Stieger hatte als IM Bergmann während seines NVA-Dienstes in den Jahren 1986 bis 1988 über andere Soldaten Auskunft gegeben. Nach seiner Enttarnung hatte Stieger im Januar 2010 sein Mandat in der Stadtverordnetenversammlung zurückgegeben.
Holzschuher offenbarte, er sehe sich als Christ dem Versöhnungsgedanken verpflichtet. Ein Mensch, der Fehler begangen habe, müsse eine zweite Chance bekommen, sofern er sich mit seinem Verhalten auseinandergesetzt habe. Es sei darüber hinaus ein guter rechtsstaatlicher Grundsatz, dass das Maß einer Schuld nach einer gewissen Zeit neu bewertet wird oder bestimmte Dinge auch keine Rolle mehr spielen.
Eine Frage der Gerechtigkeit sei, ob man an einem verhältnismäßig unbedeutenden Fall, wie ihn der einstige IM Stieger darstelle, das gesamte DDR-Unrecht problematisieren könne, mahnte Holzschuher. Er fragte: »Was ist mit jenen DDR-Funktionsträgern, die zwar nicht Stasi-belastet waren, aber heute in jedes Amt kommen dürfen?« Ausdrücklich erwähnte er dabei Brandenburgs Oberbürgermeisterin Dietlind Thiemann (CDU), die einst als SED-Mitglied eine »systemtragende Funktion« innegehabt habe.
Holzschuher warf die Frage auf, ob eine solche Einteilung mit Gerechtigkeitserwägungen in Einklang gebracht werden könne. Er bezeichnete es als falschen Ansatz, sich allein auf das Thema Stasi zu fokussieren. In diesem Streben sehe er sich auf einer Linie mit den Auffassungen von Roland Jahn, dem neuen Bundesbeauftragten für die MfS-Unterlagen, und mit der Stasi-Landesbeauftragten Ulrike Poppe. »Und ich wünsche mir, dass es einige Moralapostel, so nenne ich sie mal, auch so sehen.«
Anders liegen die Dinge für den Fraktionschef bei den hohen brandenburgischen Polizeibeamten, deren erneute Durchleuchtung auf eine etwaige Stasi-Verstrickung Innenminister Dietmar Woidke (SPD) angekündigt hat. Hier gehe es um Dinge, die möglicherweise verschwiegen worden sind. Doch müsse auch an dieser Stelle untersucht werden, wie schwerwiegend der Einzelfall wirklich sei, bevor Konsequenzen gezogen werden, sagte Holzschuher.
VOS-Vizechef Lässig hatte nach Bekanntwerden der Wahl Stiegers den SPD-Landesvorsitzenden Matthias Platzeck aufgefordert, Parteikarrieren von Stasi-belasteten Mitgliedern zu verhindern. Viele Sozialdemokraten trugen in der Wendezeit zum Sturz der SED-Diktatur bei, argumentierte Lässig. Mit der Wahl Stiegers verraten sie ihre Ideale, behauptete er.
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