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Nur was zerbricht, lügt nicht
»Unter dir die Stadt« von Christoph Hochhäusler
Mein Büro in London sieht genauso aus wie das hier, sogar die Bilder an der Wand sind die gleichen.« Das sagt Banker des Jahres Roland Cordes zu Svenja, der Frau eines seiner Angestellten. Sie antwortet: »Man ist immer schon da. – Und fliegen muss man trotzdem.« So klingt sie, die Melancholie, wie sie Menschen in künstlichen Welten überfällt. Alles abgeleitet, alles doppelt, alles fremd und austauschbar. Von allem, was hier als Wahrheit gehandelt wird, ist das Gegenteil ebenso möglich. Nein, in dieser Welt der Glaspaläste und der Zahlen, die über Gewinn und Verlust entscheiden, gibt es keine Haltegriffe.
Da treffen sich zwei in ihrer Verlorenheit zwischen all den Dingen, die ihnen nichts mehr bedeuten, erkennen sich in Sekunden. Ein kurzer Blick, eine aufreizend desinteressierte und doch provokante Geste angesichts dieser Form von Lebenssimulation: das verbindet, zieht sie zueinander hin. Denn da durchschauen zwei die unhaltbare Lage ihrer Existenz inmitten der Fassaden aus Glas, die Transparenz versprechen und bloß Entzauberung, ja totale Kontrolle produzieren. Es geht immer um Geld – und selbst dieses ist hier nur eine Datei, die von einem Rechner auf den anderen geladen wird.
Es ist ein schweigsamer, ein verrätselter Film über die Bankenstadt Frankfurt am Main geworden. Lauter verlorene Seelen auf der Suche nach dem echten Gefühl, nach etwas, dem sie glauben können, und wenn es nur für einen kurzen Moment ist. Hier blitzt sie auf, die unvernünftige Sehnsucht, die Hoffnung, der Macht des Käuflichen zu entkommen.
Und da erscheint sie plötzlich wie aus dem Nichts: Svenja, die in diese Welt der Ausrechenbarkeiten so gar nicht hineinpasst, feenhaft an eine Leichtigkeit verloren, deren unwägbarem Gewicht sie ständig nachzulauschen scheint. Es ist eine Rolle für Nicolette Krebitz, die in ihren eigenen Regiearbeiten wie »Das Herz ist ein dunkler Wald« mit Nina Hoss in der Hauptrolle diese Welt hinter den Fassaden bereits betrat. Das Schreckliche verschwindet nicht, auch wenn wir es nicht sehen. Die Tragödie hört nicht auf, bloß weil wir vergessen haben, was das ist. Zwei Menschen auf verlorenem Posten: er ganz oben an der Spitze einer Großbank, sie an der Seite eines jungen Bankers. Wohin führen ihre Wege? Robert Hunger-Bühler ist dieser Cordes, ein Mensch wie tiefgefroren, das Leben als Erfolgs-Bilanz, auch wenn man hier mit solchen Bilanzen hantiert wie die Junkies draußen vor der Tür mit den Drogen, die sie irgendwann töten werden. Was nun zwischen dem Banker und der Frau passiert, entzieht sich den üblichen Wahrnehmungen. Keine Affäre, sondern eine bewusste Existenzgefährdung. Zwei Ertrinkende, die sich gegenseitig nicht retten können, es auch gar nicht wollen. Die überhaupt nicht wissen, was sie wollen. Die Geschichten, die sie sich als ihre Lebensgeschichten erzählen, sind schon fast verloren gegangen hinter dem tagtäglichen Zwang, anderen Erfolgsgeschichten zu verkaufen. Alle sind sie hier gleichzeitig auf der Suche nach der Wirklichkeit und auf der Flucht vor ihr. Hochhäuslers Film ist eine Beschreibung dieser Ambivalenz.
Vielleicht sind der Banker und das Mädchen füreinander bestimmt, um sich die Krise, ihr Scheitern einzugestehen – das größte Tabu in der Welt, in der sie sich bewegen. Svenja nur halb, denn sie ist ja eine Grenzgängerin, schaut halb ironisch, halb gelangweilt auf diese fade Ersatzwelt – darum fasziniert sie Cordes. Sie trägt noch etwas von jener Freiheit, jenem Hauch echten Lebens in sich, das Cordes längst abhanden gekommen ist. Eine Liebesgeschichte? Nein, wohl eher ein Experiment im Sinne des Satzes von Nietzsche: »Alles an mir ist Lüge, nur das ich zerbreche, das nicht.«
Cordes, der dieses sein Zerbrechen einerseits forciert, handelt andererseits doch immer noch wie ein Banker. Svenjas Ehemann stört seine Pläne mit der jungen Frau, der muss folglich weg. Also sorgt er dafür, dass dieser befördert wird – abgeschoben auf einen gefährlichen, aber hochbezahlten Posten nach Indonesien. Hochhäusler greift hier bewusst auf die biblische Geschichte von König David und Batseba zurück. Um die Geliebte zu gewinnen, schickt dieser ihren Mann in den Krieg und wird damit schuldig, verunmöglicht das, was er doch so unbedingt will. Auch Cordes handelt wie ein Untergeher, sieht in der jungen Frau eine Waffe, sein falsches Leben, das vom echten nicht mehr zu trennen ist, zu zerstören. Und doch ist da immer auch echte Sehnsucht nach einer Heimkehr zu den unschuldigen Anfängen spürbar, nach Rettung vor der totalen Selbstentfremdung, nach Erlösung gar.
Hochhäusler über den Passionsweg seines Bankers: »Wenn Cordes am Ende des Films sagt, er wolle über Liebe sprechen, aber er glaube sich nicht, dann ist er ein Performer, der seine eigene Liebes-Performance nicht glauben kann. Dann hat er ein Problem.« Das ist dann so etwas wie die Wiedergeburt der Tragödie aus dem Geist der Krise. Wir wollen etwas sagen, das uns erschüttert hat – aber wir haben die Worte dafür verbraucht und stehen nun stumm. Ein Film, der sich – wie die Personen in ihm – mitunter in seinen schnellen schweigsamen Schnitten zu verlieren droht. Ein Bilder-Labyrinth, in seinem Mut, Ratlosigkeit zu (re)produzieren, durchaus bewundernswert.
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