Blackbox »Rückführung«
Haus der Kulturen der Welt zeigt Ausstellung zum Thema Abschiebung von Ralf Jesse
Einen harten, aber wichtigen Kontrapunkt setzt das Haus der Kulturen der Welt mit der Installation »Blackbox Abschiebung« des Filmemachers Ralf Jesse. Im Herzen des luftig geschnittenen Hauses, das vor allem den außereuropäischen Kulturen seit langem eine besondere Heimstatt in Berlin bietet, sind mit dem schwarzen Kubus von »Blackbox Abschiebung« nun die von Staats wegen nicht erwünschten Träger der ansonsten eingeladenen Kulturen präsent. Jesse, der vor drei Jahren mit dem Film »Die Geduldeten« die Ankunft unbegleiteter Flüchtlingskinder verfolgte, begibt sich mit seinem neuen Projekt in die finale Phase des Aufenthalts von Ausländern in Deutschland. Er begleitete mit der Kamera den Weg von neun abgeschobenen oder auf Abschiebung wartenden Menschen und deren Familien. Er interviewte sie teils im Abschiebegefängnis und teils zu Hause. Diese Gespräche sind im Inneren der Box, die wie ein karges Wohnzimmer eingerichtet ist, per Video zu sehen. Fotos der Protagonisten sind an den Außenwänden angebracht. Von denen, die im letzten Jahr abgeschoben wurden, hat Jesse sich zudem Nachrichten und Fotos aus der alten Heimat schicken lassen, die für manche nur schwer die neue wird, und die andere mit dem willkürlichem Transport überhaupt zum ersten Mal zu Gesicht bekamen.
Nadire Mujolli und ihren vier Geschwistern ist dies widerfahren. Sie sind allesamt in Deutschland geboren, in Ahaus in Nordrhein-Westfalen aufgewachsen und auch dort zur Schule gegangen. Am 17. März letzten Jahres wurden sie gemeinsam mit ihren Eltern, die seit 19 Jahren in Deutschland lebten, arbeiteten und Steuern zahlten, in den Kosovo abgeschoben. »Nur die älteste Tochter, als einziges der Kinder nicht in Deutschland geboren, durfte bleiben«, erzählt Ralf Jesse. Nadire versucht sich im Interview selbst zusammenzureimen, warum sie und ihre Familie aus ihrem bisherigen Leben so abrupt herausgerissen wurden. »Ich glaube, es liegt daran, dass ich eine Woche nicht zur Schule gegangen bin, als ich krank war«, erklärt die Neunjährige. Es ist anzunehmen, dass Bildungs- und Innenbehörden in NRW noch nicht auf diese drastische Art und Weise zusammenarbeiten. Offensichtlich haben es jedoch die Amtsträger, die die im Bürokratendeutsch »Rückführung« genannte Ausweisung entschieden haben, nicht einmal für notwendig erachtet, ihre Gründe plausibel darzulegen. Das Leiden der Mujollis ist in deutschen Medien als erschreckendes Beispiel für eine verfehlte »Rückführungs«-Politik bekannt geworden.
Weniger publiziert ist hingegen das Schicksal von Faruk Ferizi. Sieben Jahre lang arbeitete der gebürtige Albaner als Dachdeckermeister in Niedersachsen, bis er ins Abschiebegefängnis Offenbach gesteckt und schließlich in den Kosovo gebracht wurde. Von dort hat er Jesse Fotos von seinem früheren Haus übermittelt, das er einst selbst erbaut hatte. Jetzt sieht es aus wie ein Rohbau. Fenster und Türen fehlen, das Dach weist Schäden auf. Ferizi, der im Krieg bereits seine Existenz verloren hatte, muss nun aufgrund der Abschiebung erneut ganz von vorn anfangen.
Jesses Verdienst ist es, nicht nur diese Lebensgeschichten, die unmittelbar Empathie und Empörung auslösen, in sein Projekt integriert zu haben, sondern sich auch um diejenigen zu kümmern, die mehr in illegalen als in legalen Gewässern unterwegs waren. Der junge Moskauer Zhenja ist solch ein Fall. Bereits als Jugendlicher war er in seiner Heimat als Drogendealer tätig. Nach Verbüßung einer Haftstrafe kam er nach Deutschland. Inzwischen in einem deutschen Gefängnis sitzend kann er dieses wegen seiner vergleichsweise guten Bedingungen im Vergleich zu seinen russischen Erfahrungen gar nicht als ein Gefängnis ernst nehmen.
Bittere Erfahrungen nimmt der studierte Ökonom Taofik Bello mit in sein Heimatland Nigeria. Er konnte in Deutschland nicht nur keine seiner Qualifikation angemessene Arbeit finden, er beklagt sich auch über den grassierenden Rassismus.
»Es wird lange dauern, bis sich hier etwas ändert«, prognostiziert er. In den USA regiere Obama, in Deutschland seien Politiker schwarzer Hautfarbe aber nicht einmal auf den untersten Ebenen der Politik zu sehen, meint er. Jetzt handelt der Mann, der auch in Irland und Spanien Berufserfahrungen sammelte, nach Auskunft Jesses mit Autos europäischer Hersteller in Lagos.
Einen tieferen Einblick in die Mechanismen der Ausländerbehörden liefern die Erlebnisse von Omari Kasoiani. Weil der Georgier lange seine Herkunft verheimlichte, um sich eine bessere Aufenthaltsmöglichkeit zu verschaffen, wurde er von Sprachforschern so lange untersucht, bis er selbst schließlich nachgab.
Ein ganz besonderer Fall ist schließlich Alexander Peacock. Der Sohn einer Deutschen und eines US-Soldaten, der in den USA aufwuchs und kein Wort deutsch spricht, wurde aus den Vereinigten Staaten nach Deutschland ausgewiesen und macht jetzt die Erfahrung, fremd in einem fremden Land zu sein, das nur auf dem Papier seine Heimat ist.
Ralf Jesses Installation entwirft ein erschütterndes Panorama. Es zeigt schlaglichtartig die Unfähigkeit von Bundes- und Landesbehörden auf, angemessen auf die Dynamiken der Migration zu reagieren. Das Projekt war im vergangenen Jahr bereits auf verschiedenen Stationen im Ruhrgebiet im Rahmen von Ruhr 2010 zu sehen. Interessierte Veranstalter können es nach der Ausstellungsdauer im Haus der Kulturen der Welt (bis 8. Mai) einladen.
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