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Eine traurige Provinzposse

Streit um einen Straßennamen in Uelzen

  • Barbara Kaiser
  • Lesedauer: 4 Min.
Im niedersächsischen Uelzen ist das Vorhaben gescheitert, eine Straße nach Johann Maria Farina (1874-1951) zu benennen. Farina war Uelzener Bürgermeister während des Nationalsozialismus. Trotzdem wollte eine Initiative um einen CDU-Ratsherrn mit Verweis auf Farinas Verdienste für die Stadt eine Umbenennung. Für ein entsprechendes Bürgerbegehren fehlten der Initiative am Ende nur 34 Stimmen. Gegner des Vorhabens wie der Stadtarchivar Reimer Egge verwiesen darauf, dass Farina während der NS-Zeit auch KZ-Einweisungen unterschrieben habe.

Der normal geschichtsbewusste Mensch kommt doch ins Nachdenken, wenn er hört, dass jemand in einer Stadt von 1913 bis 1946 Bürgermeister war. Was für eine Epoche! Welches Maß an Geschmeidigkeit und/oder Selbstverleugnung ist da nötig, um in Kaiserreich, Weimarer Republik, Nazi-Zeit und bei ersten Gehversuchen in Richtung Demokratie Stadtoberhaupt zu sein und zu bleiben?

Der NDR kam vorbei

Nun ahnt man spätestens bei der Zäsur 1945, dass der Mensch, um den es geht, nicht östlich der Elbe einen Rat geführt haben kann. Soweit ist das richtig. Langsam greift aber auch im Westen dieser Republik die Erkenntnis Raum, dass einige Ehrungen, nicht zuletzt in Gestalt von Straßennamen, nicht mehr opportun sind. Im niedersächsischen Uelzen, einer 35 000-Einwohner-Kleinstadt südlich von Lüneburg, die sich immerhin mit dem Hundertwasser-Bahnhof schmückt, wird derzeit eine Posse aufgeführt, über die man sogar in der Landeshauptstadt Hannover die Nase rümpft. Oder zumindest das Haupt schüttelt. Auch der NDR interessierte sich mit einem Dreh bereits vor Ort für die Stimmungslage.

In Uelzen hatte sich nicht nur der Stadtarchivar Reimer Egge über die Rolle von Johann Maria Farina (1874 bis 1951), den oben beschriebenem Bürgermeister, Gedanken gemacht. Als die Frage nach Farinas Wirken in der Nazi-Zeit – der Mann hatte unter anderem Listen für die Deportation jüdischer Bürger unterschrieben – im Jahr 2010 endlich lauter gestellt wurde, gründete sich schnell eine Initiative »Gegen Nazistraßennamen in Uelzen«. Neben der Farinastraße kam noch die Seebohmstraße ins Gerede. Hans-Christian Seebohm war von 1949 bis 1966 Bundesverkehrsminister und stand am ganz rechten Rand. Immer wieder bezog er revanchistische Positionen.

Der Hauptstreit entzündete sich aber an Farina. Der Aufruhr zwang den Rat zum Handeln, die bestehende Farinastraße wurde in »Am Stadtgut« umbenannt. Davor standen allerdings mehrere Historikergutachten (vielleicht hätte man ja doch alles beim Alten lassen können?), die immer ein vorsichtiges »Einerseits und Andererseits« formulierten.

Allerdings hatte der Rat, den die Vorgänge übrigens keineswegs davon abgehalten hatten, am Totensonntag einen Kranz mit Spender-Hinweisschleife auf Farinas Grab niederzulegen, nicht an die Unberechenbarkeit der Bürger gedacht. Jener Bürger, die Farina immer noch für einen untadeligen Bürgermeister halten, der schließlich unter anderem das Schwimmbad gebaut habe. Und was eine Umbenennung kosten würde!

Kaum war der Beschluss gegen die Farinastraße mit knapper Ratsmehrheit gefasst, da startete bereits die Gegeninitiative der Farina-Fans. Ein Lokalpolitiker der CDU (und selbst Ratsmitglied) sammelte Unterschriften für ein Bürgerbegehren und brachte in Anbetracht des gegebenen Zusammenhangs das Instrument kommunaler Demokratie gründlich in Misskredit. Noch bedenklicher aber sein Erfolg: 3372 Namen standen am Ende auf der Liste »Für Farina«. Davon mussten mindestens 2891 gültig sein, um die Stadt zu zwingen, eine Bürgerabstimmung abzuhalten. Aufgerufen gewesen wären dazu 28 900 wahlberechtigte Bürger; mit 25 Prozent Ja-Stimmen behielte Farina seine Ehrung.

Am vergangenen Freitag wurde das Ergebnis des Bürgerbegehrens veröffentlicht: »Für Farina« – also für einen Bürgerentscheid – fehlten am Ende 34 gültige Stimmen. Die 539 ungültigen Stimmen kamen unter anderem von 246 Unterzeichnern, die nur im Landkreis leben, nicht in der Stadt. Zudem haben 77 doppelt gezeichnet, 119 konnten durch die Auszähler nicht zweifelsfrei identifiziert werden.

Kryptisches Statement

Die Initiatoren um den CDU-Ratsherrn wollen keine rechtliche Anfechtung anstreben, weil sie an eine faire Auswertung durch die Stadt glauben. »Ich bin erleichtert«, sagt Bürgermeister Otto Lukat (SPD) auf ND-Anfrage. »Damit bleibt der Stadt eine nicht angemessene Diskussion erspart.«

Viel kryptischer dagegen äußerte sich der Erste Stadtrat Jürgen Marquardt gegenüber der Uelzener Lokalzeitung: »Unabhängig davon, dass es um die Umbenennung der Farinastraße geht, bedaure ich persönlich das knappe Stimmenergebnis. Trotz allem haben sich über 2800 Uelzener einen Bürgerentscheid gewünscht, wir mussten aber diese rechtlich eindeutige Entscheidung treffen.«

Und Hundertwasser? Sein bunter Bahnhof, vor einem Jahr mit dem Ehrentitel schönster Deutschlands bedacht, begrüßt alle Gäste, um die die Stadt so dringend wirbt. Wahrscheinlich hat sich der Künstler unter seinem Tulpenbaum auf Neuseeland im Grabe umgedreht.

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