Gesucht: 2285 Urankugeln
Im Atommüllager Asse sind sie nicht, behauptet das Bundesamt für Strahlenschutz
Das Dokument, das auf der Webseite der »Rheinischen Post« veröffentlicht wurde, scheint eindeutig zu sein: »BE-Kugeln« wurden geliefert, ist auf der »Begleitliste« vom 15.12.1976 zu lesen. Sie enthielten die radioaktiven Substanzen Thorium 232, Uran 233, 235 und 238. »Ablieferer« sei die Kernforschungsanlage Jülich GmbH, Transporteur die Bundesbahn, deren Strahlenschutzbeauftragter R. die Beförderung ebenso per Unterschrift bestätigt wie W., Mitarbeiter des Salzbergwerks Asse, den Eingang der Fracht verifiziert.
»Brennelemente wurden nach Asse geliefert«, titelte die »Rheinische Post« gestern denn auch lapidar. Doch das Bundesamt für Strahlenschutz bestreitet diese Darstellung: Nein, die knapp 2300 vermissten Brennelementekugeln aus der Kernforschungsanlage Jülich sind nicht in der Schachtanlage Asse bei Wolfenbüttel, Niedersachsen. Zwar seien dort 1976 zwei Fässer mit Brennelementkugeln aus Jülich eingelagert worden, teilte das Bundesamt gestern mit. Doch dabei könne es sich nicht um die vermissten 2285 Brennelemente handeln. Zu gering sei das Gesamtgewicht der Fracht, zu schwach strahle sie.
Also geht die Spekulation weiter: Wo sind sie hin, die Brennelemente? Die NRW-Landesregierung hat offensichtlich keine Kenntnis darüber. Noch vor ein paar Tagen sagte NRW-Wissenschaftsministerin Svenja Schulze dem »Spiegel«, die Hinterlassenschaft des 1988 stillgelegten Reaktors befinde sich »allem Anschein nach« im Bergwerk Asse. Doch genau lasse sich das heute nicht mehr herausfinden, weil die dort »eingelagerten Mengen nicht bekannt« seien.
Gelagert werden dürfen dort nur schwach- bis mittelradioaktive Substanzen, nicht jedoch Brennelemente. Beim Forschungszentrum heißt es derweil: Die Kugeln könnten einst – als eine Form der Zwischenlagerung – vor Ort einbetoniert worden sein. Könnten ...
»Wir haben es hier mit einem skandalösen Vorgang zu tun, der lückenlos aufgeklärt werden muss«, sagt Hans Christian Markert, der anti-atompolitische Sprecher der grünen Fraktion im NRW-Landtag. Das Forschungszentrum könne »keinen Nachweis über den Verbleib« der radioaktiven Kugeln erbringen. Die jedoch enthielten nach Markerts Berechnungen mindestens 2,2 Kilogramm Uran 235. Uran 235 ist der Primärenergieträger für Atomkraftwerke – und Atombomben.
Mehrheitsgesellschafterin der Forschungsanlage ist die Bundesregierung. Die gibt jedoch den Schwarzen Peter nach Düsseldorf weiter: Bundesumweltminister Norbert Röttgen (zugleich Chef der NRW-CDU) fordert Klarheit über den Verbleib der strahlenden Kugeln – vom NRW-Wirtschaftsministerium. Schließlich sei das die »zuständige Aufsichtsbehörde«.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.