Sachsenhausen im Zeichen des Kalten Krieges

Sonderausstellung zur Einweihung der KZ-Gedenkstätte vor 50 Jahren erzählt auch von damaligen Reaktionen des Westens

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.
Monument mit René Graetz' Plastik »Befreiung«, Foto vom 18. April 1961
Monument mit René Graetz' Plastik »Befreiung«, Foto vom 18. April 1961

100 000 Gäste wurden erwartet, am Tag darauf berichtete das ND von 200 000 Menschen, die am 23. April 1961 zur Einweihung der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen gekommen seien. Damals lautete das Motto: »Sachsenhausen mahnt.« So heißt jetzt auch eine Sonderausstellung, die sich mit der Einweihung der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte vor 50 Jahren beschäftigt. Am 17. April wird sie in Sachsenhausen eröffnet. Zu sehen sind Filme und Dokumente.

Der Antifaschismus sei in der DDR als Begründung für den Aufbau des Sozialismus verwendet worden, sagte gestern Kulturministerin Sabine Kunst (für SPD). »Die Gedenkstätte sollte die DDR als das bessere, antifaschistische Deutschland präsentieren.«

Tatsächlich sagte der Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht zur Eröffnung: »Hier in der Deutschen Demokratischen Republik hat das andere Deutschland Wurzeln geschlagen. Hier wurde das Vermächtnis der Antifaschisten erfüllt...« Mit Blick auf die BRD erklärte er: »Es ist für uns Deutsche beschämend, feststellen zu müssen, dass in einem Teil unseres Vaterlandes, in der westdeutschen Bundesrepublik, die Hintermänner, Drahtzieher und Nachfolger der nazistischen und militaristischen Verbrecher wieder Oberwasser gewonnen haben, sich ihrer Taten brüsten und neue Untaten vorbereiten.«

Fakt ist, dass die DDR schon die KZ-Gedenkstätten in Buchenwald und Ravensbrück eingerichtet hatte und in Sachsenhausen nun auch noch für das dritte Konzentrationslager auf dem Staatsgebiet eine Gedenkstätte entstanden war. Die erste KZ-Gedenkstätte der BRD in Dachau folgte erst 1965.

Von beiden Seiten sei die Geschichte politisch instrumentalisiert worden, »auf die BRD trifft dies kaum weniger zu«, betonte Günter Morsch, Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten. Bei den Feierlichkeiten habe der Osten die Opfer des sowjetischen Speziallagers in Sachsenhausen verschwiegen, im Westen sei im Grunde ausschließlich davon die Rede gewesen. Der Westberliner »Tagesspiegel« habe Rainer Hildebrandt – Chef der antikommunistischen »Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit« und später Gründer des Mauermuseums – dazu schreiben lassen. Hildebrandt habe nur vom Speziallager erzählt. Bei einer Konferenz ehemaliger sozialdemokratischer Häftlinge in Bad Godesberg habe Willy Brandt mit keinem Wort Opfer des Faschismus wie die in Sachsenhausen ermordeten Sozialdemokraten erwähnt. Brandt sei nur auf das Speziallager eingegangen, verriet Morsch. »Das ist bedrückend.« Die Einweihung sei »kurz vor dem Höhepunkt des Kalten Kriegs« erfolgt.

Die Ausstellung soll an die Begleitumstände erinnern: die Invasion in der kubanischen Schweinebucht wenige Tage vor der Eröffnung und am 13. August der Bau der Berliner Mauer. Die aktuellen Ereignisse beeinflussten die Berichterstattung über den Festakt in Sachsenhausen. Ursprünglich sollte es eine Gesprächsrunde im DDR-Fernsehen geben. Doch angesichts der Invasion in der Schweinebucht wurde das Programm geändert und Moderator Karl-Eduard von Schnitzler diskutierte mit seinen Gästen darüber – wobei er aus Solidarität mit Fidel Castro demonstrativ eine Havanna-Zigarre rauchte.

Eine Rolle spielte der Beginn des Verfahrens gegen den Nazi Adolf Eichmann. Dem Organisator des Massenmordes an den Juden wurde in Israel der Prozess gemacht. Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) fürchtete in diesem Zusammenhang neuerliche Kritik an seinem Staatssekretär Hans Globke, dem berüchtigten Kommentator der Nürnberger Rassegesetze. Die Namen von Eichmann und Globke seien bei der Zeremonie in Sachsenhausen öfter gefallen als die irgendwelcher Häftlinge, berichtet Bodo Baumunk, Kurator der Sonderausstellung. Tatsächlich habe es eine große Zahl belasteter Leute in der BRD-Regierung gegeben. Nicht gestimmt habe allerdings die Darstellung des Ostens, im Westen erfolge überhaupt keine juristische Aufarbeitung. Gerade in jenen Tagen sei beispielsweise ein ehemaliger SS-Wachmann zu einer Haftstrafe verurteilt worden.

Streit gab es auch innerhalb des kommunistischen Lagers, etwa um das »Museum des antifaschistischen Befreiungskampfes der europäischen Völker«, gestaltet in Sachsenhausen von Widerstandskämpfern aus 19 Nationen. Niederländer verwahrten sich dagegen, dass dort jugoslawische »Titoisten und Parteiverräter« etwas zu bestimmen haben. Die Fertigstellung der damaligen Ausstellung sei eine »große logistische Leistung« gewesen, findet Baumunk. 1953 hatte das SED-Politbüro die Einrichtung der KZ-Gedenkstätten in Buchenwald, Ravensbrück und Sachsenhausen beschlossen. 1956 begannen in Sachsenhausen die Bauarbeiten. Zur Eröffnung sollte ursprünglich der Schauspieler Charlie Chaplin gebeten werden. Wirklich eingeladen wurde Eleanor Roosevelt, die Witwe des Präsidenten Franklin D. Roosevelt, der die USA im Zweiten Weltkrieg in die Anti-Hitler-Koalition und damit an die Seite der Sowjetunion geführt hatte. Auf der Ehrentribüne drängelten sich schließlich viele evangelische Theologen, darunter etliche Bischöfe. Um die 100 Pfarrer sollen nach Sachsenhausen gefahren sein, darunter Martin Niemöller. Gottesdienste gehörten zum offiziellen Eröffnungsprogramm. Die Einwohner bildeten Spalier und wirkten mit. »Es ist nicht alles unter Zwang erfolgt«, gesteht Baumunk zu.

Für die Errichtung der Gedenkstätte dankten beispielsweise Michail Landau aus Israel und Roger Vidal aus Frankreich. Ulbricht geißelte übrigens keinesfalls nur die »Bonner Kriegsverbrecher« und er rühmte nicht nur den kommunistischen Widerstandskampf. Er lobte auch andere Antifaschisten, Sozialdemokraten und Bürgerliche, »Menschen der verschiedensten Weltanschauungen«, die »gemeinsam den unerhört opferreichen Kampf gegen das blutbesudelte Hitlerregime« führten.

»Sachsenhausen mahnt«, Neues Museum, Gedenkstätte Sachsenhausen, Straße der Nationen 22 in Oranienburg. Bis 30. Oktober, Di. bis So. von 8.30 bis 18 Uhr. Zur Eröffnung am 17. April um 11 Uhr spricht Lucienne Gouffault, Frau des verstorbenen Präsidenten des Internationen Sachsenhausen-Komitees. An der Seite ihres Mannes Pierre hatte sie 1961 die Einweihung der Gedenkstätte erlebt.

Bereits am 22. April 1961 eröffnete das Museum des antifaschistischen Befreiungskampfes der europäischen Völker in Sachsenhausen. Dort wird nun »Sachsenhausen mahnt« gezeigt. Fotos: Archiv
Bereits am 22. April 1961 eröffnete das Museum des antifaschistischen Befreiungskampfes der europäischen Völker in Sachsenhausen. Dort wird nun »Sachsenhausen mahnt« gezeigt. Fotos: Archiv
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