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Das Schwein von Sachsenhausen
Der Historiker Dirk Riedel verfasste eine Biografie des KZ-Kommandanten Hans Loritz
Überlebende berichten, dass sich die Haftbedingungen in den Konzentrationslagern Esterwegen, Dachau und Sachsenhausen noch einmal deutlich verschärften, als Hans Loritz dort Kommandant wurde. So veröffentlichte der Kommunist Erich Sichting nach der Befreiung in der »Magdeburger Volksstimme« einen Beitrag unter der Überschrift »Das Schwein von Sachsenhausen«.
Loritz verhängte besonders drakonische Strafen, stachelte SS-Leute zu rücksichtsloser Härte an und schlug auch selbst brutal zu. Heiligabend 1938 zum Beispiel ließ der SS-Oberführer in Dachau einen Weihnachtsbaum auf dem Appellplatz aufstellen und direkt daneben 20 Häftlinge auspeitschen.
Theodor Eicke, Inspekteur der Konzentrationslager, schickte oft SS-Leute zu Loritz, um sie auf Tauglichkeit für den KZ-Dienst überprüfen zu lassen. Loritz teilte Eicke dann mit, wer ihm zu »weich« erschien. Wer Unnachgiebigkeit bewies, konnte Karriere machen. Dirk Riedel, wissenschaftlicher Mitarbeiter der KZ-Gedenkstätte Dachau, schrieb über die Biografie des Loritz. Der Titel: »Ordnungshüter und Massenmörder im Dienst der ›Volksgemeinschaft‹: Der KZ-Kommandant Hans Loritz.«
Ein prächtiges Landhaus
Aus freien Stücken bewarb sich Loritz am 9. Januar 1934 um eine Anstellung im KZ Dachau. Offiziell arbeitete Loritz damals noch als Einkassierer bei den Augsburger städtischen Gaswerken. Tatsächlich war er aber von dieser Tätigkeit freigestellt, um das SS-Hilfswerk in unmittelbarer Nähe des KZ Dachau zu leiten.
Im Hilfswerk waren 1400 österreichische SS-Leute kaserniert, die sich aus ihrer Heimat abgesetzt hatten, als die dortige Regierung 1933 alle Nazi-Organisationen verbot. Loritz kam beim SS-Hilfswerk nicht klar. Er musste sich rechtfertigen, weil Geld in der Kasse fehlte.
Darum suchte Loritz Unterschlupf im KZ. Aber SS-Reichsführer Heinrich Himmler stimmte der Versetzung erst einmal nicht zu. Doch bereits im Sommer hatte es Loritz zum Kommandanten des KZ Esterwegen gebracht. 1936 wechselte er nach Dachau und – nach einem kurzen Zwischenspiel als SS-Abschnittschef in Graz – 1940 nach Sachsenhausen. Loritz galt in SS-Kreisen als Erfinder einer Genickschussanlage, mit der allein in Sachsenhausen innerhalb von Wochen 12 000 sowjetische Kriegsgefangene ermordet wurden.
Doch 1942 stolperte Loritz, weil er sich selbst in den Augen seiner Vorgesetzten gar zu frech bereicherte. Schon von Dachau aus hatte er ein Häftlingskommando nach St. Gilgen am Wolfgangsee entsandt, um sich dort ein prächtiges Landhaus errichten zu lassen. Den Ausbau des Anwesens setzte er von Sachsenhausen aus fort und zweigte auch das notwendige Baumaterial ab. In KZ-Werkstätten mussten Häftlinge Einrichtungsgegenstände herstellen.
Als die Unterschlagungen ruchbar wurden, musste er zur Strafe nach Norwegen. Dort unterstanden ihm mehrere Gefangenenlager für insgesamt 2600 jugoslawische Partisanen. Die Freiheitskämpfer mussten im eisigen Norden eine Straße bauen. Nicht viele überlebten die Strapazen. Wer krank wurde, den erschoss die SS. Nach der Übergabe der Lager an die Wehrmacht sollte sich Loritz um den Werkschutz für kriegswichtige Betriebe in Norwegen kümmern.
Autor Riedel schildert aufschlussreich den Lebensweg des Täters und erklärt seine Entwicklung, soweit es die überlieferten Zeugnisse zulassen. Die kaisertreue Einstellung des Elternhauses begünstigen, dass Loritz die Dolchstoßlegende glaubte, jener Legende von den im Felde angeblich unbesiegten deutschen Waffen und der Niederlage im Ersten Weltkrieg nur wegen der Novemberrevolution. Kameradenkult, Prinzipienreiterei, Überheblichkeit und Geltungssucht, das sind Aspekte für den Schritt zum Massenmörder aus Überzeugung. Gehorsam muss nicht genannt werden, denn niemals äußerte Loritz Zweifel.
Hans Loritz kam 1895 als Sohn eines Augsburger Polizisten zur Welt. Wie der Vater absolvierte er zunächst eine Bäckerlehre. 1914 meldete er sich als Kriegsfreiwilliger, kämpfte an der Westfront, war bis 1920 in französischer Kriegsgefangenschaft.
Zurück in Augsburg gelang es ihm, Polizist zu werden. Besonders gefiel Loritz die Aufnahme in eine kleine Motorradtruppe. Doch wegen diverser Verfehlungen, musste er 1928 die Uniform ausziehen. Beamter blieb er freilich als Kassierer der Gaswerke. Wahrscheinlich bewegte ein Nazi den Kollegen im Jahr 1930 zum Eintritt in NSDAP und SS.
Zehn Jahre Witwenrente
Angesichts der längst absehbaren Niederlage Hitlerdeutschlands schickte Loritz im April 1945 aus Oslo drei fingierte Abschiedsbriefe an seine Frau, seine Geliebte und seinen Vorgesetzten. Tatsächlich beging er aber nicht Selbstmord, sondern flüchtete nach Schweden und gab sich dort als verfolgter Sozialdemokrat aus. Die Schweden glaubten diese Lüge, schoben ihn jedoch trotzdem im September nach Lübeck ab. Schon auf dem Schiff dorthin wurde er erkannt und am Ziel verhaftet.
Die Briten planten, Loritz an die sowjetische Militärjustiz zu übergeben. Ihm drohte ein Prozess wegen der Ermordung der 12 000 Kriegsgefangenen in Sachsenhausen. In der Nacht zum 31. Januar 1946 erhängte sich Loritz in seiner Zelle. Die Witwe musste das Anwesen in St. Gilgen räumen. Sie zog nach Augsburg und erhielt für ihren verstorbenen Mann tatsächlich noch zehn Jahre lang eine Rente. Erst 1962 stoppte die Justiz diesen Skandal. Die Witwe musste die bereits erhaltenen Summen jedoch nicht zurückzahlen.
Dirk Riedel: »Ordnungshüter und Massenmörder im Dienst der ›Volksgemeinschaft‹: Der KZ-Kommandant Hans Loritz«, Metropol, 424 Seiten (brosch.), 24 Euro, ND-Buchbestellservice, Tel.: (030) 29 78 17 77
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