Im Einsatz gegen Monsterbauten
Der einstige Kreuzberger AL-Baustadtrat Werner Orlowsky wird heute 83 Jahre alt
»Wer mit offenen Augen durch Kreuzberg geht, muss irgendwann Marxist werden – wenn er's nicht schon ist«, sagte Werner Orlowsky Anfang der 80er Jahre. Heute wird der Mann, der als Vermittler zwischen Hausbesetzern und damals etablierter Politik und Verwaltung republikweit bekannt wurde, 83 Jahre alt. Im Gegensatz zu vielen seiner Altersgenossen steht er bis heute dazu, spricht allerdings vom »Marxismus im Sinne der marxistischen Gesellschaftskritik«. Aber auch das hätte er wahrscheinlich auf Nachfrage schon vor 30 Jahren gemacht.
Vor 50 Jahren hätte er von alldem allerdings nichts gesagt. Anfang der 1960er Jahre war er ein »fast unpolitischer Mensch«, wie er in einem Gespräch einst gestand. Er war damit beschäftigt, seine Familie – Frau und zwei Kinder – zu ernähren. Das gelang ihm leidlich gut mit einer Drogerie in der Dresdner Straße. Er erfreute sich an den hohen Gewinnspannen für Lippenstifte und Kondome, Türken kauften vor dem Heimaturlaub gleich kistenweise Trockenmilch. So viel, dass der Hersteller einen Mitarbeiter vorbeischickte, um zu überprüfen, ob alles mit rechten Dingen zugeht.
Die Kunden kauften nicht nur ein, sie erzählten auch von ihren Sorgen und Nöten. Diese wuchsen, als die Zeit der »Absahnierung« kam. Blockweise wurde die Gründerzeitbebauung mit Billigung der Politik dem Verfall preisgegeben. Wer nicht freiwillig ging, sah sich rüder Entmietung ausgeliefert. Die Sanierung bestand aus großflächigem Abriss und anschließender Neubebauung, wie dem von 1969 bis 1974 errichteten Neuen Kreuzberger Zentrum. Der wuchtige, das Kottbusser Tor im Halbkreis umfassende Riegel sollte auch als Lärmschutz vor der geplanten Stadtautobahn dienen. Finanziell profitieren sollten davon die Investoren der neuen Monsterbauten. Die Händler der von der Hauptverkehrsstraße zur Sackgasse degradierten Dresdener Straße darbten fortan, von einst 35 Geschäften überlebten drei.
Orlowsky erwachte politisch, engagierte sich in Betroffenenvertretungen, gewann auch als »Legalo« bei Hausbesetzern Vertrauen, vermittelte zwischen ihnen und der Politik, wurde – obwohl kein Mitglied – von der Alternativen Liste für die Wahl zur Kreuzberger Bezirksverordnetenversammlung aufgestellt und schließlich unter Schmähungen eines Teils der künftigen Untergebenen Baustadtrat.
Fortan durfte keine Baugenehmigung ohne seine Gegenzeichnung erlassen werden. Sie lagen buchstäblich zunächst auf Eis, nämlich auf dem Bürokühlschrank. »Davor wurde häufig die gesetzlich vorgeschriebene Betroffenenbeteiligung geflissentlich übergangen«, erklärt er.
»Es ist uns gelungen, die menschenverachtende Kahlschlagsanierung zu beenden. Nicht gelungen ist es, die wohnungspolitische mit der sozialen Frage zu verbinden«, resümiert Orlowsky. »Kreuzberg war ein Modell für Rot-Grün, ich bin nicht zu bescheiden zu sagen: Du hast damit viel zu tun gehabt. Möglicherweise kann es das auch für Rot-Rot-Grün werden.« Nach zwei Amtszeiten kümmerte er sich in Prenzlauer Berg um den Aufbau einer unabhängigen Mieterberatung. Dadurch sei Schlimmeres vermieden worden. Auch wenn viel Verdrängung stattgefunden habe.
»Der Bevölkerung ist nicht geholfen, wenn sie verdrängt wird. Leute ohne Abschluss müssen irgendwie qualifiziert werden, das darf nicht nur in Sonntagsreden politisches Ziel sein«, sagt er zur aktuellen Situation. Sein Fazit: »Ohne die Hausbesetzungen wäre es den ›Legalos‹ nicht gelungen, die behutsame, bewohnerfreundliche, sozial orientierte, partizipative und ökologische Stadterneuerung mit den Bewohnern für die Bewohner durchzusetzen.«
Am 12. April ab 19.30 Uhr sprechen Werner Orlowsky und andere über 40 Jahre Häuserkampf in Kreuzberg im Wasserturm Kreuzberg, Kopischstraße 7, www.dreigroschen-verein.de
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