Gagarins Startsignal war »Pojechali« – Na dann, auf geht's!

Expeditionen in die Erdumlaufbahn sind heute fast Routine und werden kaum noch registriert

  • Irina Wolkowa, Moskau
  • Lesedauer: 6 Min.
Auf den Tag genau 50 Jahre sind vergangen, seit die Menschheit das Tor zum Weltraum aufstieß. Es war ein sowjetischer Kosmonaut, der als erster die Anziehungskraft von Mutter Erde überwand und den blauen Planeten aus einer Perspektive sah, wie vor ihm kein anderer.
Juri Gagarin 1966 mit seinen Töchtern Jelena (l.) und Galina
Juri Gagarin 1966 mit seinen Töchtern Jelena (l.) und Galina

Ein Plüschhündchen, das Alexander Samokutjajew als Maskottchen mitgenommen hatte, segelte durchs Cockpit und zeigte dem Raumschiffkommandanten, seinem Kollegen Andrej Borissenko und dem US-Astronauten Ronald Garan den Eintritt in die Schwerelosigkeit an. Eine Trägerrakete des Typs »Sojus-FG« hatte das Trio und ihr Raumschiff »Sojus TMA-21« kurz zuvor ins All befördert. Das geschah genau vor einer Woche. Fünf Monate lang werden die drei in der Internationalen Raumfahrtstation ISS arbeiten.

Ein Routineflug zu einer Routinemission, von der die Welt kaum noch Notiz genommen hätte, wäre da nicht dieser Jahrestag: Vor 50 Jahren flog Juri Gagarin als erster Mensch ins All. 108 Minuten brauchte sein Raumschiff »Wostok 1« für die Erdumrundung. Violettes Glühen vor den Bullaugen signalisierte den Wiedereintritt in die Atmosphäre In einer Höhe von 7000 Metern öffnete sich der Hauptfallschirm, zwei Sekunden später wurde die Luke von der Raumkapsel abgesprengt, gleich danach betätigte Gagarin den Schleudersitz. Sanft landete er auf einer Brache nahe dem Dorf Smelowka, 26 Kilometer südwestlich der Stadt Engels im Gebiet Saratow an der Wolga. Dort steht inzwischen ein Denkmal und der 12. April ist seither halboffizieller Feiertag in Russland.

Künftig wird ihn die ganze Welt begehen. Als »Internationalen Tag des Weltraumfluges des Menschen«. So jedenfalls beschloss es die UN-Vollversammlung auf einer Sondersitzung am 7. April. Den Jahrestag selbst wird die Weltorganisation in New York mit einer Festveranstaltung begehen, gleichzeitig öffnet dort eine Fotoausstellung mit dem Titel »Gagarin. Der erste Mensch im Weltraum«. Gezeigt werden neben Bildern aus der Geschichte der Raumfahrt und der Vorbereitung von Gagarins Flug auch Aufnahmen, die den Stand der heutigen internationalen Zusammenarbeit im Weltraum demonstrieren.

Auch Russland würdigt das Jubiläum gebührend. Alle großen Fernsehsender zeigen neue, aufwendig gedrehte Dokumentationen mit Zeitzeugen, die bisher eisern schwiegen – zu den Pannen bei der Vorbereitung von Gagarins Weltraumflug und zu seinem tragischen Ende sieben Jahre später. Die Filme dürften Straßenfeger werden. Denn Gagarin ist für Kommunisten wie für Liberale, für Christen wie für Muslime, für Arme wie für Reiche einer der wenigen Russen, über die man entweder Gutes oder gar nichts sagt. Eine Lichtgestalt, ein Held ohne Fehl und Tadel.

Bei riskanten Unternehmen gebraucht die Nation bis heute das gleiche Wort wie Gagarin direkt vor dem Start: »Pojechali« (etwa: »Na dann, auf geht's«) Selbst die unpolitische und historisch wenig interessierte Spaßgeneration kann auf Anhieb sagen, wem das typisch russische, halb vom Helm verdeckte Gesicht auf dem Foto gehört, das kurz nach dem Start von »Wostok 1« zur Erde gefunkt wurde und in der Sowjetunion Jubelstürme auslöste wie die Einnahme des Reichstags in Berlin am 1. Mai 1945. Völlig zu Recht: Der Kalte Krieg, den die einstigen Verbündeten der Anti-Hitler-Koalition Moskau aufgezwungen hatten, tobte auch im Weltraum. Die UdSSR, die schon mit dem Start des ersten künstlichen Erdtrabanten 1957 den Erzkonkurrenten USA auf die Plätze verwiesen hatte, baute ihren Vorsprung mit der Entsendung des ersten Menschen ins All aus und konnte ihre Führungsrolle fast ein Jahrzehnt lang verteidigen.

Hunderttausende Moskauer standen daher jubelnd an den Straßenrändern, als Gagarin in offener Staatskarosse zum Kreml in Moskau gefahren wurde, wo Partei- und Regierungschef Nikita Chruschtschow und das gesamte Politbüro auf ihn warteten. Es war der Beginn eines Triumphzugs rund um die Welt. Staatsoberhäupter, regierende Monarchen und Filmdiven standen Schlange, um sich mit Gagarin ablichten zu lassen.

Das hätten sich seine Eltern – Vater Alexej war Zimmermann, Mutter Anna Kolchosbäuerin – selbst in ihren kühnsten Träumen nicht ausgemalt, als Juri am 9. März 1934 in Kljuschino zur Welt kam. Einem Dorf in Westrussland, das im Herbst 1941 von der Wehrmacht besetzt wurde. Kurz danach hat Jura ein Erlebnis, das sein weiteres Leben bestimmen wird: Er sieht, wie ein sowjetischer Jagdflieger unter Einsatz des eigenen Lebens hinter der Front landet, um einen verunglückten Kameraden aufzulesen und ihm die deutsche Gefangenschaft zu ersparen.

Gleich nach Abschluss der Lehre in einer Eisengießerei bewirbt er sich an der Fliegerschule in Orenburg, die er 1957 im Rang eines Leutnants verlässt. Kurz zuvor hat er Valentina geheiratet, eine Ärztin, die ihm klaglos hinter den Polarkreis folgt. Denn Gagarins erster Dienstort ist ein Jagdfliegerregiment der Nordmeerflotte bei Murmansk. Dort kommt 1959 auch seine erste Tochter, Jelena, zur Welt. Galina, die zweite, wird schon im Sternenstädtchen bei Moskau geboren, wo 20 Bewerber seit März 1960 für einen Beruf ausgebildet werden, den es bisher nicht gab: Kosmonaut.

Dass die Auswahlkommission sich in der Endrunde ausgerechnet für Gagarin entscheidet verdankt er zum einen seiner Herkunft – Arbeiterkind, Russe, Parteimitglied, medientauglich –, zum anderen seinem ausgeglichenen Naturell. Das wird ihm nicht nur in lange verschwiegenen kritischen Momenten bei der Landung seiner Kapsel zupass kommen, sondern auch verhindern, dass ihm der Erfolg zu Kopf steigt. Gagarin, sagen ehemalige Kameraden, sei bescheiden geblieben und habe, obwohl er es nicht nötig gehabt hätte, darauf bestanden, seine Ausbildung zum Kampfpiloten abzuschließen, die er für den Weltraumflug unterbrechen musste.

»Als Flieger muss man fliegen«, notierte er, gerade 34 geworden, im Frühjahr 1968 in seinem Tagebuch, »immer fliegen.« Knapp drei Wochen später, am 27. März, stürzten er und sein Kopilot Wladimir Serjogin, der zugleich sein Ausbilder war, bei einem Übungsflug über dem Gebiet Wladimir in Zentralrussland ab.

Über die Ursachen des Absturzes schossen die Spekulationen üppig ins Kraut. Die sowjetische Regierung vermeldete offiziell »eine unglückliche Verkettung verhängnisvoller Umstände«.

In der vergangenen Woche wurden bisher als geheim eingestufte Akten über den Fall freigegeben. Dem Dossier einer Untersuchungskommission zufolge war ein »brüskes« Ausweichmanöver vor einer Wettersonde die wahrscheinlichste Ursache für das Unglück. Für weniger wahrscheinlich hielt die Kommission, dass Gagarin durch das Manöver vermeiden wollte, bei schwierigen Wetterbedingungen in eine Wolkendecke zu geraten.


Chronologie: Bemannte Raumfahrt im Zeitraffer

April 1961: Juri Gagarin vollbringt als erster Mensch eine Erdumrundung im Weltraum.
Mai 1961: US-Astronaut Alan Shepard fliegt ins All, ohne die Erde zu umkreisen.
Februar 1962: Astronaut John Glenn umrundet die Erde.
Juni 1963: Walentina Tereschkowa ist die erste Frau im Weltraum.
März 1965: Alexej Leonow unternimmt ersten »Spaziergang« im All.
Januar 1967: »Apollo 1« explodiert bei einem Test. Alle drei Astronauten sterben.
April 1967: Kosmonaut Wladimir Komarow stirbt, als der Fallschirm der »Sojus 1« versagt.
Dezember 1968: Erste bemannte Mondumkreisung durch »Apollo 8«.
Juli 1969: Mondlandung von »Apollo 11«. Astronaut Neil Armstrong betritt den Erdtrabanten.
April 1971: Die UdSSR startet ihre erste Raumstation »Saljut 1«.
Juni 1971: Drei Kosmonauten ersticken bei der Landung von »Sojus 11«.
Dezember 1972: »Apollo 17« unternimmt den bis heute letzten bemannten Flug zum Mond.
Mai 1973: Die USA installieren ihre erste Raumstation »Skylab 1«.
August 1978: DDR-Bürger Sigmund Jähn fliegt mit einer Sojus-Kapsel als erster Deutscher ins All.
April 1981: Start des ersten wiederverwendbaren Raumschiffs, der US-Raumfähre »Columbia«.
Januar 1986: Die Raumfähre »Challenger« explodiert nach dem Start, sieben Astronauten sterben.
November 1998: Aufbau der Internationalen Raumstation ISS beginnt.
März 2001: Nach 15-jährigem Betrieb wird die russische Raumstation »Mir« geplant zum Absturz gebracht.
April 2001: US-Multimillionär Dennis Tito ist der erste Weltraumtourist.
Februar 2003: Beim Wiedereintritt in die Atmosphäre explodiert das Shuttle »Columbia«, alle sieben Astronauten sterben.
Oktober 2003: Als dritter Staat mit eigenem Weltraumprogramm schickt China seinen ersten Taikonauten ins All – Yang Liwei.
Februar 2010: Die USA-Regierung streicht ein Programm für bemannte Missionen zum Mond und zum Mars.
Mitte 2011 soll das Shuttle-Programm der USA eingestellt werden, danach werden US-Astronauten auf russische Raketen angewiesen sein.
AFP/ND
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