Militär will Tahrir-Platz räumen

Besetzung durch revolutionäre Jugendbewegungen soll notfalls mit Gewalt beendet werden

  • Juliane Schumacher, Kairo
  • Lesedauer: 3 Min.
Der regierende Militärrat in Ägypten will weiter hart gegen Demonstranten vorgehen. Die Sympathien der politischen Elite des Landes für das Militär sind trotzdem ungebrochen.

Jetzt sind sie wieder da: Der Tahrir-Platz ist besetzt, den dritten Tag in Folge. Wenige Zelte stehen dort, die meisten Besetzer bleiben nachts wach, schlafen auf Decken oder neben den spärlichen Büschen. Anders als sonst fahren keine Kolonnen von Autos und Bussen über den weitläufigen Platz, stattdessen stehen dort große und kleine Gruppen von Menschen, die sich beraten. Barrikaden aus Stacheldraht, Zäunen, einem umgestürzten Laster trennen den Platz von den umliegenden Straßen ab, an den Drahtrollen hängen Transparente: »Revolution!« steht darauf und »Das Blut derer, die gestorben sind!«

Vor der Barrikade drängen sich Menschen, manche neugierig, andere schimpfend: »Wir brauchen nicht schon wieder Unruhen und Proteste«, ruft ein Mann. Einige Jugendliche fahren ihn an: »Wir haben nichts gewonnen, wenn wir ein beschissenes System durch ein anderes ersetzen!« Die politische Situation ist angespannt in Ägypten, seit am Sonnabend nach einer Demonstration für die Umsetzung der Revolutionsforderungen und gegen das herrschende Militär Protestierende den Tahrir-Platz erneut besetzten – woraufhin das Militär scharf auf die Demonstranten schoss. Zeugen sprachen von mindestens sieben Todesopfern. Für die Jugendbewegungen, die die Revolution bisher zu einem großen Teil trugen, ist das Verhältnis zum Militär damit endgültig gebrochen. Sie fordern eine Auflösung des regierenden Militärrates.

Das Militär dementierte, scharf geschossen zu haben, Verletzte und Tote seien auf Angriffe der Demonstranten zurückzuführen. Angekündigt wurde, den Tahrir-Platz zu räumen, notfalls mit Gewalt. Aber die günstige Einstellung weiter Teile der Bevölkerung und der politischen Eliten gegenüber der Armee ist ungebrochen: Am Sonnabend veröffentlichten Persönlichkeiten aus Politik und Kultur einen offenen Brief, in dem sie Militär und Jugendbewegungen zum Frieden aufriefen und warnten, dass »Feinde der Revolution einen Keil zwischen Militär und Bevölkerung« treiben könnten. Unterzeichnet hatten unter anderen der Kopf der Muslimbrüder Essam El Erian, Chefs liberaler Parteien, die Autoren Gamal Fahmy und Sekina Fouad und Vertreter der Revolutionskoalition des 25. Januar.

Die Diskussion wurde weiter angeheizt durch eine Rede des gestürzten Präsidenten Husni Mubarak, die der Fernsehsender Al-Arabiya am Sonntag ausstrahlte: Mubarak wies darin Korruptionsvorwürfe zurück und kündigte an, seine Amtszeit bis zu Neuwahlen zu Ende führen zu wollen. Die Koalition der Jugendlichen hat das Militär zu einer Stellungnahme aufgefordert.

Die Vorfälle vom Sonnabend könnten ein Anzeichen für einen Strategiewechsel des Militärs sein: vom Bemühen um Rückhalt in der Bevölkerung zu einer offenen Konfrontation mit denjenigen, die seine Macht in Politik und Wirtschaft gefährden. Das Militär kontrolliert etwa 25 Prozent der Wirtschaft des Landes – seit Wochen geht es hart gegen Streikende vor. Dass am Freitag trotz Warnung auch Soldaten und Offiziere an den Protesten teilnahmen, zeigt jedoch, dass es im Militär durchaus verschiedene Auffassungen gibt.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -